Meine Suche nach der perfekten Weihnachtsgans (vorläufiges Ergebnis)

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Als mein Vater vor ein paar Jahren am Weihnachtsabend vom großen Glück erzählte, jedes Jahr seines Lebens eine Festtagsgans auf dem Tisch gehabt zu haben, auch als kleiner Junge während der Kriegsjahre, rührte mich das sehr und erinnerte mich daran, dass das wohl mal keine Selbstverständlichkeit gewesen sein mag. Seit ich denken und kauen kann, serviert man in meiner Familie am ersten Weihnachtsfeiertag eine schöne Gans, deren Zubereitung nach strengen Regeln verläuft und selbstverständlich nur von Mutter persönlich zubereitet werden darf. Meine Suche nach der perfekten Rezeptur für Gänsebraten beginnt mit dieser Kindheitsgans.

Muter füllte die Gans mit einer Hackmasse, in die sie fein gewürfelte Zwiebeln und Backobst gab, würzte den Vogel kräftig mit Beifuss, Majoran, Salz und Pfeffer. Mit Wein, Brühe und Suppengemüsen schmorte die Gans bis zu fünf Stunden im Ofen. Mit dem Fettwegkännchen trennte Mutter den Sud vom Fettfilm, die Sauce wurde leicht gebunden. Im heißen Ofen wurde die Gans unter dem Grill, vor dem Servieren noch mal aufgeknuspert. Traditionell tranchierte Vater den Vogel, als ich meine Kochlehre begann und mit dem Erreichen der Volljährigkeit, gab mein Vater das Tranchierbesteck mit großer Geste ab. Der „Hackbraten“ im Inneren der Gans diente als Nachessen zum zweiten Weihnachtsfeiertag, serviert mit übriger Sauce, Gänsefleischfetzen, Rotkohl und aufgebratenen Klößen. Köstlich!

Während der Lehrzeit als Koch und auch später als Commis und Chef de Partie durfte ich in den unterschiedlichsten Restaurationen Handlanger entfesselter Kreativität werden. Es war dies das Ende der achtziger Jahre und auch das Ende jeder Tradition. Wir tauchten ganze Gänse in selbst angerührten, ölig-schwarzen Asia-Lack (lackiertes Essen!), der im Ofen rauchend karamellisierte, wir füllten Mangos in die Bäuche, würzten mit Chili und Koriander, wir experimentierten mit Lufttrocknung und Räucheröfen.
Ich darf Ihnen an dieser Stelle verraten: all das ohne weitere, kulinarische Erkenntnisse.

Erst die Neunziger brachten Erlösung, wir hatten solange experimentiert, dass es jetzt wieder fortschrittlich und sogar echt „cool“ war eine traditionell gewürzte Gans in zwei Gängen und mit Rotkraut und Klößen auf der Speisekarte anzubieten. Im Hause Paulsen wurde die Hackfüllung gestrichen, der feinzüngig gewordene Herr Sohn behauptete plötzlich, die Gans schmecke nach Hack. Mutter ersetzte seufzend die Hackmasse durch Äpfel und Orangen und am zweiten Weihnachtsfeiertag gab es Spaghetti. Zu diesem Zeitpunkt entwickelte ich eine erste eigene Methode, zur Perfektionierung der Weihnachtsgans. Ein einziges Jahr nur hatte Mutter mich in einer schwachen Stunde einmalig die Gans zubereiten lassen und ich entschied, die Feuchtigkeit aus dem Ofen zu verbannen. Ich hackte die Flügelknochen und den Hals der Gans in kleine Stücke die ich mit gehackten Innereien (Herz, Magen) und gewürfeltem Suppengemüse sehr dunkel anbriet, mit Rotwein ablöschte und mit Gänsefond aus dem Glas auffüllte. Gewürzt mit süßen Preiselbeeren, Thymian, Nelke, Knoblauch, Beifuss und Majoran lies ich die Sauce einkochen. Salz und Pfeffer, vor dem Servieren noch kalte Butterwürfel mit dem Pürierstab einmontiert. Das Ergebnis überzeugte, die außerhalb des Ofens entstandene Sauce schmeckte reich und die Feuchtigkeit im Ofen, die ein kross werden der Gänsehaut verhindert, war reduziert. Im Inneren der Gans dampften aber, suboptimal jedoch geschmackvoll, immer noch die Äpfel und Orangen.

Seit ein paar Jahren feiern wir Weihnachten im Wechsel bei uns im Norden, oder bei meinen Eltern im Süden. Als frisch verlobtes Paar standen die Liebste und ich also vor ein paar Jahren vor der schönen Aufgabe, eine eigene Gänsetradition ins Leben zu rufen. Da trat Johann Lafer in mein Leben. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich (noch) kein großer Fan des umtriebigen Meisterkochs gewesen, der Abend des 16.12.2005 änderte alles. Lafer kochte bei „Kerners Köchen“ eine Weihnachtsgans mit Hefeteigfüllung. Ich erinnere mich, dass ich schon schläfrig auf der Couch zusammengesunken, plötzlich wieder hellwach gerade saß. Sensationell. Lafer knetete einen sehr weichen Hefeteig, angereichert mit Rosinen und getrockneten Aprikosen und füllte die Gans damit! Ich begriff: jede Feuchtigkeit würde vom Hefeteig aufgesogen, gleichzeitig würde der aufgehende Teig die Gans herrlich straffen und aus der Gans befreit auch noch eine luftige Beilage ergeben, welche die gereichte Sauce wie einen Schwamm aufsaugen würde.

Weihnachten 2005 hatten wir zwölf Gäste zum Gänseessen in unserer Wohnung. Wir kauften zwei Gänse. Ich bestand darauf, die Lafer-Gans zu bereiten. Die Liebste bestand auf eine Zubereitung, die sie „Tante Manni-Gans“ nannte. Tante Manni, so wurde mir berichtet, hatte die Gans zeitlebens außen ordentlich mit Salz eingerieben und dann vier-fünf Stunden im Ofen gegart, dabei immer wieder mal mit austretendem Fett beschöpft. Das war das Rezept. Ich nickte gönnerisch, mir war klar, der Vorteil dieses „Rezeptes“ bestand darin, dass wir die Tante Manni-Gans auch seitlich schräg neben die Lafer Gans schieben konnten, so passten zumindest beide Gänse in den Ofen. Die Sauce kochte ich für beide Gänse wieder nebenher im Topf.

Die Lafer Gans schmeckte gut (den lustigen Lack hatte ich weggelassen), es war dieser weiche, luftige Hefeleib, der überzeugte. Nie aß ich eine perfektere Beilage zur Gans, der Schwammeffekt war bemerkenswert, absolut köstlich. Am Ende meiner langen Suche nach der perfekten Gans, gewann aber die beste Rezeptur, die Tante Manni Gans. Sie ist für mich die perfekte Weihnachtsgans. Es ist die Schlichtheit der Zubereitung, die die Gans nach Gans schmecken lässt und zwar pur nach Gans ohne Obstgelöt und Überwürzungen. Binden und/oder Zunähen entfällt. Durch die Abwesenheit jeglicher Flüssigkeit und das großzügig verwendete Salz, wird die Tante Manni Gans extrem knusprig und zwar rundum. Durch das Fehlen jeglicher Füllung heizt die Gans auch von Innen gar, das Fleisch erscheint mir eine Spur zarter als bei gefüllter Gans. Viereinhalb bis fünf Stunden brät die Freilandgans (ca, 4,5 kg) im Ofen, bei 140 Grad, Ober und Unterhitze (Umluft trocknet die Gans aus). Die Gans vor dem Tranchieren 20 Minuten im abgeschalteten Ofen, bei leicht geöffneter Ofentür ruhen lassen.

Natürlich kann das Ergebnis meiner Suche nur als vorläufiges Ergebnis betrachtet werden, die Suche geht selbstverständlich weiter! Sachdienliche Hinweise auf weitere Geheim- und Familienrezepte für DIE perfekte Gans werden hier dementsprechend sehr gerne entgegen genommen. Genussvolle Feiertage wünsche ich Ihnen!

UPDATE (November 2019):

Auf dem allerneusten Stand: Hier findet sich ein Gänse-Einkaufsführer, sowie neue Erkenntnisse üder die Zubereitung mit Einsalzen und Ruhezeiten und mit aktualisierten Rezepten für Gans und Sauce!

 

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