Probiert: Küchenwerkstatt, Hamburg

3600300600_55f8ae9df7

Ich glaube ich lehne mich gar nicht allzu weit aus dem Küchenfenster, wenn ich behaupte, dass im Moment nirgendwo in Hamburg so spannende gekocht wird, wie in der Küchenwerkstatt. Der Name ist Programm, hier wird experimentiert und dekonstruiert und alles durchaus zum Wohle des Gastes. Der betriebene Aufwand ist bemerkenswert und lässt deutliche Sterne-Ambitionen erkennen. Die Gasträume der alten Villa sind hell und freundlich, kontrastieren gelungen mit den dunklen Vertäfelungen und Eichenschnitzereien der historischen Einrichtung des alten Fährhauses, inklusive Delfter Kacheln und Kamin.

Küchenchef Gerald Zogbaum serviert als erstes Amuse Geule zweierlei hausgemachte Chips mit einem anregend-aromatischen Essig-Schaum. Es folgt ein Löffelhappen von intensiv zitronig schmeckendem, cremigen Albedo-Pürree (Albedo, das weiße Innerer von Zitrusfrüchten) auf dem zwei knusprig geröstete Calamari-Ringe ruhen. Außerdem wird köstlich gewürzter, grasgrüner Petersilien-Zitronenhüttenkäse zum hausgebackenen Brot mit Olivenlöl und Salz gereicht.

Die Menükarte bedarf Erklärung, dabei ist es ganz einfach: eigentlich darf alles mit allem zum Wunschmenü komponiert werden, nur weniges davon erfordert Aufpreis. Auch die Anzahl der Gänge (bis zu acht) bestimmt der Gast, um die zehn Euro kostet im Schnitt jeder Gang im Menü. Unserer Frauen haben zur Vorspeise in Olivenöl gegarten Thunfisch bestellt, der mit aromatischen Heirloom-Tomaten sowie zweierlei Granité von der Tomate serviert wird, aromatisiert mit Pedro Ximénez Sherryessig und Basilikumsaat. Für die Herren gibt es roh marinierte Gänseleber mit dünn geschnittenen rohen Jacobsmuscheln, grünem Apfel-Gelee, rohen Stiften vom grünen Apfel und gerösteten Gänseleberstückchen in Nussöl, dazu eine krosse Scheibe Topinki-Brot mit Gänseleber, schwarzem Pfeffer und grobem Meersalz. Beide Vorspeisen begeistern in Perfektion und fordern den Genießer aufs schönste. Hier zeigt sich deutlich Gerald Zogbaums Handschrift: beim Zusammenspiel von rohen und gegarten Zutaten, unterschiedlichen Temperaturen, im Wechselspiel der perfekt aufeinander abgestimmten Aromen und Konsistenzen. Groß.

Ein Zwischenspiel das leichte Sauerteig-Würzbrot, das vom Service am Tisch mit Joghurtbutter bestrichen wird. Köstlich, überhaupt, Brot ist ein großes Thema, immer wieder neue hausgemachte Backwaren erfreuen während des Menüs. Als zweiten Gang haben wir Kalbsbries gewählt, auf frischen Erbsen die mit Kopfsalat und Speck angedünstet wurden, dazu eine feine Jus und in einem separaten Töpfchen ein heißer Minz-Milchschaum. Letzterer sorgt am Tisch für Diskussionen („passend“ – „wie Seife“), das Gericht selbst überzeugt aber sehr. Schwierig gestaltet sich die Auswahl des Hauptgangs, es befindet sich nur ein einziges Fleischgericht auf der Karte, das außen an eine Tafel angeschriebene US Beef, Kurze Rippe 24 Stunden gegart, wird uns nicht angeboten. Also nehmen wir das Reh aus Göhrde in Niedersachsen, geschmort mit Kürbispürrée und Waldpilzen und gebraten mit Brombeere, Tabak und Wildgewürzen. Sensationell, butterzart, hocharomatisch! Wer wollte noch mal US Beef? Auch unser Fischhauptgang schmeckt, wirkt aber im Vergleich mit den vorausgegangenen Genüssen beinahe schon gewöhnlich: perfekt gebratene Rotbarbe auf Oktopu-Bolognese mit Zitronen-Linguine.

Die Damen bestellen Nachtisch: ein amtlicher „Schokoladenriegel“ mit einem runden…äh…Bisquit der sich im Mund sofort und zauberhaft auflöst, dazu Passionsfruchtsorbet und Erdbeer-Rhabarberragout. Wir Herren halten uns an die riesige Käseauswahl, mit acht hausgemachten Beilagen wie Zitronen-Chutney, Chorizo-Marmelade, Perlzwiebeln in Safran, geröstetes Nussbrot…die Servicefachkraft merkt sich sowohl unserer beider Auswahl der Käse, wie auch der Beilagen, serviert eine halbe Stunde später die Teller, zeitgleich zum Dessert, und verweist auf Nachfrage an Dr. Kawashima.

Überhaupt ist der Service unter der Leitung von Angela Gnade auf Draht, freundlich, sehr aufmerksam und dabei immer unverbindlich. Die teilweise doch eher ausgefallenen Produkte und Zutaten aus der Küche werden auf Nachfrage meistens erschöpfend erklärt, kleinere Bildungslücken schließt unser Handy. Die Weinauswahl ist sehr gut, viele schöne Deutsche Gewächse locken und bereits auf der Menükarte finden sich Empfehlungen korrespondierender Weine, die sowohl Flaschen- wie auch Glasweise ausgeschenkt werden.

Die Friandise ist umfangreich, alle Schokopralinen sind mit Valrhona-Schokoladen hergestellt. Mehrfach war Zogbaum als Schüler an der Ecole du Grand Chocolat Valrhona in Tain l ´Hermitage (Lyon) zu Gast. So sind es auch vor allem die Schokoladen-Kompositionen die Überzeugen, etwa „Knusperstäbchen“ mit Nuss und Meersalz und Zitrone-Schokotafeln. Eher schwierig das zuckersüße Kirschfruchtgelee und der Veilchen-„Marshmellow“, diskutabel die Passionsfrucht-Praline. Bei Espresso von Carroux und einer ungefilterten Williams Birne klingt ein wunderbarer Abend mit angemessenem Preis-Leistungsverhältnis aus.

Küchenwerkstatt
Hans-Henny-Jahnn-Weg 1
(Eingang Hofweg)

www.kuechenwerkstatt-hamburg.de

Fon 040 – 22 92 75 88
Fax 040 – 22 92 75 99

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonnabend
12 – 15 & ab 19 Uhr
Küche: 12 – 14.30 & 19 – 22 Uhr

Weitere Beiträge
Etz, Ois, Aska, Storstad … – eine kulinarische Deutschland-Österreich-Reise