Seitan-Bratwurst im Selbstversuch

3623711907_027810235e

Ich halte dünne Scheiben vom Sirloin-Steak (medium-rare) gebraten, mit grobem Meersalz und frisch geschrotetem Pfeffer bestreut, für ein Grundrecht und nehme für die beste grobe Bratwurst der Stadt kilometerlange Umwege in kauf. Ein perfektes Wiener Schnitzel ist für mich die essbare Version von „Freude schöner Götterfunken“ (alle Menschen werden Brüder, wo sich sanft Panade wellt) und Grillhähnchen mit knuspriger Paprika-Haut atme ich gerne mal einfach weg.

Trotzdem arbeite ich schon ein paar Jahre daran, nicht zuviel Fleisch zu essen, aus gesundheitlichen Gründen und geoökologischen Bedenken. Ich kann prima und kreativ ohne Fleisch kochen, ich habe das gelernt, das ist nicht das Problem. Mein Thema ist die Fleischsimulation, die Ersatzdroge, das Fleisch gewordene Placebo. Der tief im Vegetarismus verwurzelte Wunsch nach Fleischimitation ist rührend und erfasste auch mich.
Nach ersten Versuchen mit Tofu (quarkähnlicher Käse aus den Eiweißstoffen der Sojabohne) plagten mich Hungergefühle und Verlustängste. Dranbleiben, dachte ich mir und habe dann sogar mal einen Tofu-Burger entwickelt der täuschend echt eine Art Fleischgeschmack simulierte. Das Geheimnis waren der Majoran und fein zerstäubte Röstzwiebeln, sowie die üppige Zugabe von Rauchsalz. Ich schickte das Rezept damals sogar an die größten Burgerketten der Welt um reich zu werden. Keine Antwort. Die Welt war noch nicht bereit.

Als ich Seitan entdeckte, das sind diese grauen in Folie eingeschweißte Klumpen, ganz hinten im Kühlregal des Bioladens, das brach eine neue Dekade an! Seitan (Aus Weizeneiweiß (Gluten) und Wasser, bestenfalls mit Sojasauce, Kombualgen und Ingwer angereichertes Fleischimitat), hatte ich zwar nicht erfunden, sondern buddhistische Mönche um 1900 rum, aber es öffnete mir die Tür zu vorgegaukelter Fleischeslust. Das beginnt beim Preis. 250 g Seitan kostet doppelt so viel wie 250 g Schweinenacken aus dem Supermarkt. Aber Seitan ist ein wahrer Allrounder, die Glutenpracht kann man in lustige Formen schneiden, braten, schmoren, grillen. Seitdem koche ich gerne mal ein schönes Seitangulasch, mein Seitan-Döner ist auch sehr beliebt, nicht zu vergessen der Seitan „Wiener Art“ mit Gurkensalat.

3623711477_9931589361

Gestern habe ich dann erstmals industriell gefertigte Saitan-Würste probiert, kulinarisches Interesse gepaart mit Faulheit und großer Risikobereitschaft lies mich je eine Packung Bratwürstchen und Knackwürste in Anführungszeichen und Plastikfolie erstehen. Die roten Knackwürste bereitete ich vor dem Braten noch nach Schinkenwurst-Art vor, indem ich die „Würste“ leicht einritzte, was insgesamt einem Gefühl von Margarine schneiden glich und beim Braten in der Grillpfanne den erhofften Effekt zu Wünschen übrig lies. Kalt rochen beide Würstchensorten nach Leberwurst, ich musste kurz lachen. Insgesamt ziehen die Würste beim Braten stark Fett, das tut Seitan allgemein sehr gerne und ist damit nicht direkt als diätisches Lebensmittel einzustufen.

Überraschung dann beim Geschmackstest. Obwohl die, äh…Pelle bei beiden Produkten eher an gekochten Gummischlauch gemahnte, schmeckten die roten Würste, bei reichlicher Verwendung von sehr viel Dijon Senf, tatsächlich wie sehr schlecht gemachte Wiener Würstchen. Obwohl, halt, das kann ich so nicht sagen, viele Würstchen aus dem Glas sind bedeutend schlechter in Biss und Geschmack. Insgesamt als ein Surrogat, dass im Rahmen seiner Daseinsberechtigung in Ordnung ist. Die Bratwürste konnten nicht überzeugen, da wäre mit ein bisschen frischem Majoran und grobem Pfeffer mehr rauszuholen, der Biss auch eher wie Schaumstoff.

Beide Würste weckten in mir eine lodernde Sehnsucht nach gutem Metzgerhandwerk. An einem Samstagabend, kurz vor der Tagesschau, eine Tragödie. Fazit: fleischlos koch ich künftig wieder selbst, Wurst bleibt Wurst, und Seitan macht nur in der asiatisch gewürzten Variante Sinn.

Weitere Beiträge
Küchenparty für Kochmuffel – Warum mit einem Charcuterie-Brett jede Einladung gelingt