Probiert: Hamburger Schlemmersommer im Hotel Atlantic

Sommerhimmel

Der Lack ist ab, die Sterne weg. Hamburgs Vorzeigeadresse an der Alster, das Atlantic Hotel, hatte 2008 seine Klassifizierung als Fünf-Sterne-Haus verloren und gehört auch nicht mehr zu den Leading Hotels of the World. Die nötige Sanierung des Traditionshauses soll aber noch 2009 beginnen, der neue Direktor Peter Pusnik möchte das Haus wieder zum gesellschaftlichen Mittelpunkt Hamburgs werden lassen. Uns schreckt der Zustand des Traditionshauses nicht allzu sehr, wir sind Heimschläfer und zum Essen hier. Das 5-Gang-Menü, welches Chefkoch Oliver Pfahler im Rahmen des Hamburger Schlemmersommers günstig anbietet (59 Euro für 2 Personen) klingt verführerisch, eine Besprechung des Atlantic Restaurants in der aktuellen Ausgabe des SZENE Magazin Essen +Trink war zudem hymnisch.

Im schneeweiß strahlenden Innenhof des Hotels ist von Renovierungsrückständen nichts zu bemerken, beleibte Engel balgen sich auf geweißelten Balustraden, der samtblaue Sommerhimmel gibt die majestätische Decke. Leise tröpfeln Springbrunnen und Klaviernoten, ein Kaffee-König hält Hof, ältere Damen besprechen die Vergangenheit bei perlendem Champagner, die Zeit scheint still zu stehen.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Alles dauert unendlich lange. Um 21:00 Uhr, nach eineinhalb Stunden, haben wir gerade mal das Amuse Geule gegessen, eine cremige Aal-Mousse mit grasgrünem Apfelgelee, der Magen hängt in den Kniekehlen, während der Alkohol in entgegen gesetzter Richtung zu Kopfe steigt. Völlig ausgehungert atmen wir die Vorspeise ein, eine Triologie von Suppen in winzigen Einmachgläsern serviert: die grüne Mandel-Gazpacho ist wässerig dünn, köstlich dagegen das begleitenden Croustillon von Felsengarnelen. Das Spicy Thaicurrysüppchen mit Mangochutney erfreut, die Fusion von Orangen und Karotten mit Thunfischtatar schmeckt, wenngleich die „Fusion“ an Rasierschaum gemahnt. Ich möchte keine Schäumchen mehr, es addiert nichts hinzu, wie es im Agenturdeutsch so schön heißt.

Nun heißt es wieder warten, es wird Blau zu Schwarz, eine lauschige Nacht, wir sind mit wunderbaren, spannenden Menschen da, bei guten Gesprächen trinken wir uns die langen Wartezeiten mit einer Geheimrat J, 2001 Riesling Spätlese, trocken, aus dem Rheingau schön.
Der sehr bemühte und überaus freundliche Service findet immer wieder neue Worte der Entschuldigung, der Komplettausfall des Bon-Systems wird als Hauptübeltäter angezeigt, es sind dem jungen Mann die Wartezeiten sichtlich unangenehm. Er schenkt unseren Damen gleich noch mal die Gläser voll, so voll, dass wir Herren nur noch den Bodensatz der Flasche erblicken. Ein toller Trick um den Weinverkauf anzutreiben!

Zur zweiten Flasche Wein kommt dann ein winziges Stück Dorade auf einem Eßlöffel unangenehm säuerlichem „Paellarisotto“ angerichtet mit weißem „Bouillabaisseschaum“. Ich schmecke weder die Paella noch die Bouillabaise und staune wieder einmal, wie leicht sich doch einfache Gerichte verbal aufblasen lassen. Dann warten wir wieder. Der Hunger ist mittlerweile übermächtig, ich setzte alles auf den Fleischgang, eine gekräuterte Maispoulardenbrust auf „Pfifferlings-Frühlingslauchgemüse mit Kartoffel-Tomatenlasagne und Balsamicojus“.

Es kommt: ein (!) dünner Streifen Poulardenburst auf zwei Frühlingslauchstengeln und fünf halben Pfifferlingen. Darunter eine millimeterdünne Schicht rötlicher Pommes Anna. Das Essen ist kalt. Ich habe es so satt, für gutes Geld hungrig nachhause zu gehen und beschließe spontan, dieser Art von Gastronomie künftig den Rücken zu kehren. Der deutlich geknickte Kellner serviert einen Champagner aufs Haus, ich hätte auch ein Käsebrot genommen.
Die Stimmung am Tisch ist aber bestens, denn wir verhungern bei interessanten Gesprächen und in sternenklarer Nacht. Auch das Dessert kann uns nicht die…ach, egal…der Zucker auf der gebrannten Zitronengrascreme ist nur sporadisch karamellisiert, die Ananas-Tempura schmeckt grässlich, der Teig wabbelig und ungenügend ausgebacken, einzig das Mango-Chilisorbet kann an das anschließen, was Amuse Geule und Suppen-Triologie versprachen.

Heiterkeit löst der Kellner mit seinem finalen Tipp aus, die winzigen Dessertschälchen seien mit Marzipan auf den Teller geklebt, das könne man, er zwinkert uns verschwörerisch zu, auch noch abknibbeln und genießen. Wir staunen ein letztes Mal.

  1. Tja, bei reduzierten Preisen liefert die Küche dann vielleicht auch ein mengenmäßig reduziertes Menü, es muss sich ja irgendwie rechnen. Oder sind das noch die Nachwehen der Nouvelle Cuisine, ein Häppchen x an drei Stängeln y …? Und bei langen Wartezeiten trinken die Gäste schließlich auch mehr. Der Abend war für dich wohl eher nicht so toll, aber deine Beschreibung finde ich sehr amüsant. Es gibt in deutschen Food-Blogs nicht so viel in diesm Stil

  2. Danke für das Kompliment, Kaffeeklatsch. Was die Mengenkalkulation anbelangt, da haben Sie sicher Recht, ich darf aber verraten wir haben für Apero, zwei Flaschen Wein, vier Flaschen Wasser und die Menüs zu Viert insgesamt über 300 Euro bezahlt, da sollte ein leichtes Sättigungsgefühl im Preis inbegriffen sein:-)

    Ich selbst habe zu Nouvelle Cuisine Zeiten gelernt, die Teller waren mitunter ähnlich dürr bestückt, allerdings gab es spätestens zum Hautptgang zumindest die Beilage als Supplement zum nachlegen.

  3. Nach der Lektüre beim Kollegen Siepert von Nachdienstschluß hier und bei Ihnen hier Herr Paulsen drängt sich mir der Eindruck auf, die Hamburger Gastronomen nähmen ihren eigenen Schlemmersommer nicht so recht ernst.

    Ganz schön blöd, würde ich mal meinen, wenn eine Aktion, die Neugierde wecken, Schwellenangst senken im Idealfall vielleicht sogar neue Kunden gewinnen soll (daneben natürlich auch: Sommerlöcher stopfen), im wesentlichen dauerhaft abschreckend wirkt.

  4. Ich habe vor ein paar Jahren dort einmal sehr gut gespeist. Allerdings außerhalb der Schlemmersommer-Aktivitäten, mit denen sich viele nicht gut tun. Mich beschleicht das Gefühl, dass die Gastronomen damit einfach nur nach vollen Tischen schielen und nicht darauf aus sind, langfristig Gäste zu gewinnen. Habe in den vergangenen Jahren mehrmals eher enttäuschende Sommermenüs gehabt und mich geärgert, dass ich nicht regulär, dafür aber vielleicht Besseres bestellt habe.

  5. Danke für den interessanten Link Formschub, Ihren Begriff „mit den Augen der Gäste sehen“ finde ich besonders gut. Im Gespräch mit Gastronomen höre ich dann immer wieder von Betriebsblindheit, verbunden mit der Bitte, der Gast möge immer auf Mißstände aufmerksam machen. Mir fällt das bisweilen schwer, ich mag an einem solchen Abend nicht diskutieren.

    Ah, interessant Claudia, dann doch das Gesetz der Reihe vielleicht. Wäre allerdings schön blöd, gerade weil die Aktion ja auch Aquise bedeutet. Ich werde künftig auch wieder regulär einkehren…oder eben auch garnicht.

  6. Ehrlich, 59 Euro für ein Menü mit 5 Gängen und teueren (Felsengarnelen) Produkten – das kann sich nicht rechnen. Und das Sonderangebot hat die Crew in der Küche auch nicht gerade animiert, wie man so vergnüglich hier liest. Meine Lieblingsstelle: „Ich möchte keine Schäumchen mehr, es addiert nichts hinzu …“ diesen Satz möchte ich mir, als an Espuma-Phobie leidende gerne ausleihen.

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