Gelesen: "Wir Ertrunkenen" von Carsten Jensen

Der Mensch lebt ja nicht nur von Kochbüchern allein und wer sich für die Kulinarik interessiert, der interessiert sich auch für die Welt. Darum erlaube ich mir, Ihnen heute ein Buch vorzustellen, dass mich in den vergangenen Wochen begleitet und nachhaltig berührt hat.

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Auf knapp 800 Seiten erzählt der dänische Autor Carsten Jensen in seinem Roman Wir Ertrunkenen über 100 Jahre hinweg die Geschichte des Hafenstädtchens Marstal auf der dänischen Insel Ærø. Beginnend mit dem deutsch-dänischen Krieg im Jahr 1848 begleiten wir die Seefahrer, die Lebenden, die Ertrunken und die Witwen durch Zeiten und Weltmeere. Richtige Männer und starke Frauen. Mit echten Problemen. Menschenfresser, Schrumpfköpfe und Piraten, fiebernder Wahnsinn in der Südsee, Hungertod im Packeis, menschliche Ungeheuer, Meuterei, Mord und rasende Stürme. Atemberaubend und mitreißend sind die Erlebnisse der Seeleute und die Seeleute dem Leser sehr nah, weil man schon nach wenigen Seiten zur Familie gehört, die Kinder kennt, die Väter, die Mütter, die Urgroßeltern, die Lebenden und die Toten.

Literarisch ist das trickreich, aber unaufdringlich erzählt. Meisterhaft geling es Jensen und seinem Übersetzer Ulrich Sonnenberg, die Sprache der Protagonisten und die Sprache des Erzähler-Chors der Toten der jeweiligen Zeit und dem jeweiligen Alter der handelnden und erzählenden Personen anzupassen. Was als tiefschwarze Kindheitserzählung beginnt, endet als tragische Reflektion über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Und es sind nicht die Stürme, der Hunger, das Meer der größte Menschenfeind. Es sind die Urenkel von Marstal die, gegen Ende des Buches, auf See dem größten menschlichen Wahnsinn begegnen: den Weltkriegen.

Carsten Jensen
Wir Ertrunkenen (Link zur Leseprobe und Feuilleton-Stimmen)
Roman
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Albrecht Knaus Verlag, München 2008

ISBN-10 3813503011
ISBN-13 9783813503012
Gebunden, 781 Seiten, 24,95 EUR