Unterwegs: Frankfurter Buchmesse (II), Foodblogger und Verlagspartys, Backhendl und Basler Läckerli

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Titelseite der Samstagsausgabe der F.A.Z. Zeitung zur Buchmesse, mit einem Foto von Daniel Pilar


„ Die Buchmesse sieht immer so groß aus. Aber wir sollten nicht vergessen: Wir alle zusammen machen so viel Umsatz wie Aldi Süd.“
Claudia Baumhöver, Geschäftsführerin des Hörverlags

Nach dem fulminanten ersten Messetag mache ich einen Ausflug in die Frankfurter Peripherie, lang hat er nicht mehr gebloggt, der Kollege Fressack und ich besuche ihn in seiner Wirtschaft, dem Historischen Wirtshaus Zum Neuen Bau in Maintal.

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Ja, er lebt noch, sieht gut aus und serviert neben Hessisch Küch & Tapas, feinsten Apfelwein und hausgebrautes Bier. Bierbrauer Ingo Rohmann produziert nebenan das unfiltrierte Hochstädter Landbier, ein süffiges Vergnügen, gerade Spezialitäten, wie das hausgebraute Stout-Bier und das Whisky Bier mit schottischem Whisky Malz sind mehrere intensive Verkostungen wert!

Der Freitag auf der Buchmesse wird zum Foodblogger-Treffen, zur Mittagszeit verabrede ich mich mit Mittagessen-Blogger und GU-Autor Sebastian Dickhaut am Stand von Dr. Oetker, deren neues Plätzchen-Backbuch ich als Foodstylist betreut habe. Sebastian und ich unterhalten uns über Kochbücher und Küchenblogs, derweil rumort es ordentlich in der kleinen Standküche, es riecht auch schon sehr gut, ein Schild verkündet dass da heute ein Starkoch zu Gast ist und am Mittagessen werkelt. Punkt Zwölf tritt Johann Lafer aus dem Kabuff und serviert:

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Butterzartes Backhendl auf köstlichem Kartoffelsalat mit frittierter Petersilie und Kürbiskernöl. Wir essen dankbar. Müßig über das Messeessen Worte zu verlieren, hauptsächlich werden in den zahlreichen Restaurant-Outlets gleichgeschaltete Convenience-Menüs ausgegeben, ein kostspieliges Trauerspiel. Geduldig lässt sich Johann Lafer fotografieren, steht dem Publikum Rede und Antwort, wir lassen es uns schmecken und dem Mann seine Ruhe.

Wenige Stunden und Messerunden später, einer Erscheinung am Verlagsstand, ich biege eben um die Ecke, da steht er, Claudio Del Principe vom Anonyme Köche Blog und frisch gebackener Autor des gleichnamigen Kochbuches. Eine immer wieder verblüffende Tatsache beim Bloggen ist der Umstand, dass man Menschen nahe stehen kann, ohne ihnen jemals begegnet zu sein, einfach weil man Vorlieben, Ansichten und (Küchen-) Philosophien teilt und die Schreibe des anderen gerne liest. Umso größer ist die Freude am Treffen, ohne jegliche Aufwärmphase entsteht sofort ein lebhaftes Gespräch, auch und gerade offline, ist es ein großes Vergnügen Claudio zu treffen, die Zeit fliegt.

Gemeinsam mit Claudio, Autoren-Kollege Finn-Ole Heinrich und unseren Verlegern geht es zum kurzen Abendessen in die Weinstube im Römer. Wir löffeln eine formidable Leberknödelsuppe vorweg, dann gibt es Tafelspitz mit grüner Sauce und Rippchen vom Schweinenacken, auf die wir mit besonders gespanntem Interesse warten. Die Rippchen sind dann doch eher Scheiben, gepöckelter Nacken, gebettet auf Sauerkraut. Alles sehr prima, nur die Getränke-Lage verwundert: kein heimisches Bier und Apfelwein ist überhaupt nicht zu kriegen, im Traditionsrestaurant dass sich der hessischen Küche verschrieben hat. Man wundert sich.

Auf zur Party der jungen Verlage, BOOK FAIR A-GO-GO im Steinernen Haus am Römerberg. Zum Auftakt gibt’s einen zweistündigen Lesemarathon in den verschiedenen Räumen des Frankfurter Kunstvereins und es ist ganz schrecklich: brütende Hitze in den überfüllten, fensterlosen Zimmern, die Menschen dünsten in Winterkleidungen vor sich hin (die Garderobe wurde erst gegen Mitternacht zufällig im Keller gefunden), es riecht nach Rotwein aus Mündern, dauernd niest irgendwer, geräuschvoll werden Erkältungsnasen nach oben gezogen, man liest gekrümmt in einem Sitzsessel kauernd, links das Handmikrophon, rechts das Buch, mühsam irgendeine Haltung wahrend. Ich machs kurz.

Die Party hingegen ist prima. Das Bier ist eiskalt, die Menschen interessant und interessiert. Gutaussehendes Jungvolk und ergraute Silberlöwen quetschen sich durch die Räumlichkeiten, später soll noch Disko sein, jetzt verleiht aber erstmal Denis Scheck den Hotlist-Preis, den neu ins Leben gerufenen Publikumspreis der Independent Verlage. Kein Hineinkommen in den großen Saal. Mit großem Vorsprung gewinnt Alexander Schimmelbusch mit seinem Roman Blut im Wasser aus dem Blumenbar Verlag das Online-Voting und sofort machen verleumderische Gerüchte über eine mögliche Einflussnahme die Runde, von abgeschalteten Cookies und Internet-affinen Praktikanten wird gemunkelt. Mein Verlag freut sich derweil einfach über den dritten Platz, der Kollege Michael Weins aus Hamburg mit seinem Roman Delfinarium. Wunderbar.

Dann ist Disko, der übliche massenkompatible Matsch, House-lastiger Dutz-Batz, bisschen Elektro-Disko, computergenerierter Swing. Das überrascht mich ein bisschen und langweilt. Ich hatte mit lustigen „The…“ Bands gerechnet, Ausdruckstanz zu straightem Minimalelektro, erfreulichem Abzappeln zu altem Indie-Kram. Egal, es bleiben ja noch: Gespräche und Bier (dann doch warm jetzt).

Der Samstag, der erster Publikumtag spült unfassbare Massen an Gnomen, Elfen, Monstern, Geishas, Kriegern und Zwitterwesen auf die Messe, schwitzende Teenager unter babylonischen Haarbauten jeglicher Couleur in glitzernden Polyester-Kostümen, viele sind schwer bewafffnet. Wellen der Fremdscham erfassen mich. Cosplay, erfahre ich, nennt sich diese Jugendbewegung, die kostümierten Minderjährigen stellen Figuren aus japanischen Manga-Comics und TV-Serien nach und wollen hier heute die Manga-Stände besuchen auf und ab laufen.

Der Tag steht ganz im Zeichen der Lesung auf der Lesebühne der unabhängigen Verlage, eine Stunde teilen sich Finn-Ole Heinrich und ich. Claudio bringt Basler Läckerli vorbei, Nervennahrung und wie Claudio erzählt, in der Schweiz beliebtes Messe-Futter (krümmelt und schmutzt nicht, nährt auf lange Zeit). Die köstlichen Mini-Lebkuchen aus Bienenhonig, Mandeln, Haselnüssen, Orangeat und Zitronat, Gewürzen und Baselbieter Kirsch machen sofort süchtig. Derart gestärkt dürfte die Lesung kein Problem sein.

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Finn Ole beginnt die Lesung mit der zart-melancholischen Erzählung „Sie hat den Herbst gewonnen“, ich wähle die publikumsgeprüften Geschichten „Ich bekochte Wolfram Siebeck“ und „Der Tanz der Schlachter“, dazwischen Finn mit der bösen Groteske „Machst Du bitte mit, Henning“, ein Text bei dem es viel zu Lachen gibt, bis es nichts mehr zu Lachen gibt. Als wir die Lesung beenden sind Zuschauerraum, Flure und Gänge dicht von Zuhörern, kein Durchkommen mehr und viel Applaus, hach!

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Foto: Roberta Schneider

Während die Buchmesse am Abend bei der Eichborn-Party in Frankfurt feiert, zieht es uns nach Offenbach, mairisch am Main heißt die große Verlagsparty im kleinen Eisenbahnwagon (“Waggon”), direkt am Ufer. Das Bier ist kalt, die Heizlüfter atmen gleichmäßig, Heimspiel für meine Verleger, wir lesen vor, Finn-Ole zeigt Kurzfilme.

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Foto: Roberta Schneider

Ich treffe meinen alten Freund Achim, mit dem ich im Internat über Jahre Stube und Schlafsaal teilte, sieben Jungs am Anfang, später dann, ab der Mittelstufe im Zweierzimmer. 1988 trennten sich unsere Wege, wir haben uns 21 Jahre nicht gesehen und brauchen dennoch keine Anlaufphase. Wir sprechen auch von den Menschen die wir damals kannten, tragen bruchstückhafte Biographien unserer damaligen Mitschüler zusammen, das ist bisweilen erschütternd, manchmal überraschend. Ein halbes Leben kann eine Menge anrichten. Ein letztes Bier noch, die letzten Bücher zusammen packen, zwischen Flyer, Prospekte und Visitenkarten, nachdenken wie schön das war, wie bereichernd.
Und freuen auf Zuhause, morgen zurück ins richtige Leben.

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