University of Fish: Fisch aus Aquakultur – Massentierhaltung oder nachhaltiges Ernährungskonzept der Zukunft?

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Gestern startete an der Hamburger Universität das Wintersemester der University of Fish, eine Vortragsreihe der Fischmanufaktur Deutsche See für Jedermann. Vor gut gefüllten Hörsaalrängen erklärte der Meeres- und Fischereibiologe Dr. Manfred Klinkhardt mal genau, was es mit der Aquakultur auf sich hat , der „kontrollierten Aufzucht von im Wasser lebenden Organismen“. Klinkhardt ist Herausgeber des Aquakultur Jahrbuchs 2010/2011, der einzigen deutschsprachigen Bestandsaufnahme zu Aquakultur weltweit und Klinkhardt trat an, mit Vorurteilen aufzuräumen und falsche Vorstellungen zum Thema durch Faktenlage zu korrigieren. Es gelang ihm dabei ein erhellender Vortrag.

Zu Beginn wies der Wissenschaftler auf die große Tradition „produzierter Lebensmittel“ hin, bis zu den Ägyptern lasse sich das verfolgen. Heute leben wir fast ausschließlich von produzierten und eingeführten Lebensmitteln. Einzige Ausnahme ist die Fischerei, da sind wir bis heute Jäger und Sammler. Also eher bis gestern, denn die Aquakultur macht Fisch, Meerespflanzen, Muscheln und Garnelen zur Produktionsware.

Die Menschheit an der Kapazitätsgrenze des Ökosystems Erde

Die Beurteilung, ob dies ein bedauerlicher Umstand sei, überließ Klinkhardt seinen Zuhörern, er selbst zeichnete die Notwendigkeit dieses Entwicklungsschrittes anhand einiger Zahlen auf. Nicht nur für mich überraschend: Die Weltproduktion an Wildfisch blieb zwischen 1990 und 2008 stabil. Eine gleichförmige Linie auf einer Graphik, die leider auch gleichzeitig das Maximum an Ertrag, an „Ausbeute“ aufzeigt, eine Steigerung ist nicht mehr möglich. Dem gegenüber steht eine Linie die sehr steil nach oben geht: lebten 1950 noch 2,5 Mrd. Menschen auf der Erde, waren es 2005 schon 6,5 Mrd. und jedes Jahr kommen 74 Millionen Menschen dazu, die Todesfälle sind dabei schon berücksichtigt. Wir haben ein Problem.

Der Bevölkerungswachstum bringt die Menschheit an die Kapazitätsgrenze des Ökosystems Erde, bereits die Hälfte der bewohnbaren Fläche unserer Welt ist heute Ackerland. Proteine aus dem Meer werden bei der Ernährung der Vielen eine wichtige Rolle spielen.

Klinkhardt zeichnete die Vorteile der Aquakultur-Zucht auf, die wir auch aus der Landwirtschaft kennen: die Optimierung von Futter und Besatz, sowie der Schutz vor Feinden und Krankheiten sorgen auch hier für eine bedarfsgerechte, kontrollierte und rückverfolgbare Produktion, von geringer Saisonalität und hoher Qualität.

Massentierhaltung, Antibiotikamißbrauch und Plünderung der Weltmeere?

Und welchen Preis bezahlen wir dafür? Bedeutet Aquakultur nicht auch Massentierhaltung, Antibiotika-verseuchte Bestände, die Plünderung der Wildfische zur Erzeugung von Fischmehl? Klinkhardt beschwichtigte, zeigte sich regelrecht verärgert über den Begriff Massentierhaltung, diesen Begriff lehne er ab. Er erklärte, dass Fische Rudeltiere seien, die sich auch in freier Natur, dichtgedrängt und im Verband bewegen, zusätzlich gibt es natürlich Besatzbestimmungen für Teiche, Durchflussanlagen, Netzgehege und landbasierte Zuchtstätten, wie Langstromrinnen und Indoorbecken.

Auch die Angst vor Antibiotika sei einer überholten Vorstellung geschuldet, die wie so vieles bei diesem Thema auf Halbwissen und Gerüchten basiere. Fakt sei, dass der Einsatz von Antibiotika mittlerweile streng geregelt bis verboten sei, die erlaubte Medikamentierung für Fisch Ende bereits bei der Zugabe von Kochsalzlösungen. 98 % aller norwegischen Zuchtlachse kommen nie mit Antibiotika in Berührung, sie dürfen nur im Krankheitsfall und nach tierärztlicher Anordnung verabreicht werden, der Fisch geht nicht in den Verkauf. Durch natürliche Züchtung (und nicht etwa durch Genmainpulation) seien die Fisch heute weniger Krankheitsanfällig, geschlossenen Systeme und strengste Kontrollen beuge zudem Medikamentenmissbrauch vor. Allerdings, so Klinkhardt, sei auch das Ausrauben von Banken verboten, dennoch würde eben doch von Zeit zu Zeit eine Bank ausgeraubt.

Fischmehl – aus Wildfisch wird “Industriefisch”

Wieviel Kilo Wildfisch für wie viel Kilo „Industriefisch“ benötigt werden, klärt der FIFO Wert, der Fish In – Fish Out Wert, er benennt den Preis, den wir für das Fischmehl zur Aufzucht von Fisch aus Aquakulturen zu bezahlen haben. Der Fischanteil in Fischmehl besteht aus 22 % Fischabfällen, die bei der Verarbeitung von Fischen anfallen (Gräten, Köpfe, Abschnitte, Carcassen), sowie zu 78 % aus Frischfisch, meist Beifang. Das ist problematisch, der Nachwuchs von Fischbeständen ist damit gefährdet. Dabei gehen dann 60 % des weltweit produzierten Fischmehls in die Aquakultur, beinahe die Hälfte wird als Beifutter für die Aufzucht von Schweinen und Hühnern verwendet.

Jede Produktion verbraucht Energie und Ressourcen. Das ist bei Aquakultur nicht anders. Aus einer Tonne Fischmehl werden derzeit beispielsweise 595 kg Lachs gewonnen. Auch Klinkhardt nennt das eine Vernichtung von Proteinen, zeigt aber auf, dass insgesamt, auf alle essbaren Zuchtfischarten und Meerestiere gesehen, in den vergangenen Jahren ein immer besserer FIFO Wert erreicht werden konnte, derzeit gewinnt man im Schnitt aus 500 g Wildfisch 1 kg Zuchtfisch. Ein Netto-Geschäft.

Soziale Entwicklungshilfe und ein Fischhautsofa für den König

Auch den sozialen Aspekt beleuchtete Klinkhardt: derzeit verdienen 40-60 Millionen Menschen ihr Geld bei der Zucht und Verarbeitung von Produkten aus Aquakultur. 68,3 Mio t. werden derzeit produziert, die Hälfte davon Fisch ( Erstaunliche 85 Prozent der Fische stammen aus Süßwasserproduktion), je 20 Prozent sind Algen/Wasserpflanzen und Muscheln, 10 Prozent Krustentiere. Schon heute stammen mehr als 40 Prozent der weltweit von Menschen verzehrten Fische aus Aquakultur. Auch in Entwicklungsländern werden dadurch Exportgewinne generiert. Vor Ort ist Fisch aus Aquakultur zudem preiswerte Volksnahrung, ein Tilapia-Fisch kostet beispielsweise auf dem Markt in Thailand 1 Euro, bei uns das Kilo dann ca. 16 Euro.

Der Tilapia ist der Aufsteiger im Ranking der Aquakultur-Fische, er belegt Platz Vier. Auf Platz eins steht übrigens der Silberkarpfen gefolgt vom Grasfisch. Der bei uns so beliebte Lachs landet auf Platz Neun des Verkauflist. Aus Tilapia wird auch Fischleder gewonnen, das geruchsfreie Leder hat eine hübsche Maserung, lässt sich Färben und unterschiedlich gerben. Es enstehen Schuhe, Handtaschen und Portemonnaies. Eben wurde dem König von Thailand Bhumibol Adulyadej mit großem Tamtam ein buntes Tilapia-Ledersofa in den Palast geliefert, seine Majestät löste damit einen wahren Einrichtungstrend aus.

Aquakultur vs. Fischerei

Macht aber die Aquakultur nicht die Wildfischer arbeitslos? Der Kampf der traditionellen Fischer gegen die expandierende Aquakultur-Wirtschaft wird an breiter Front und mit harten Bandagen geführt. Als Beispiel für eine positive Lösung des Konflikts führte Klinkhardt das Beispiel der französischen Loup de Mer -Fischer an der Atlantikküste auf. Die sahen einst ihre natürlichen Pfründe und das Preisgefüge ihrer Fänge durch Aquakultur bedroht und machten aus der Not eine Tugend. Sie keiierten mit „Bar De Ligne“ eine Marke und ein Qualitätssiegel für geangelten Loup der Mer und erzielen heute Höchstpreise für ihren qualitativ hochwertigen Fang.

Grenzen der Aquakultur

Nicht alle Fisch können in Aquakultur gezüchtet werden, Thunfisch und Aal entziehen sich beispielsweise hartnäckig den Zuchtversuchen der Auquafarmer, hier werden Besatztiere aus Wildbeständen entnommen (Capture Based Aqua Cultur) und aufgezogen. Auch das ist nicht ganz unprobelmatisch, die Wildtiere mögen kein Trockenfutter und werden mit sogenanntem „Trash Fish“ gefüttert (Sandaale, Sardellen, Kleinstfische…), das erhöht den Druck auf die ohnehin gefährdeten Wildbestände, hier muss dringend nachhaltig gearbeitet und geplant werden. Aquakultur nehme aber nicht nur, erklärte Klinkhardt, sie gebe auch zurück, etwa bei der Stützung bedrohter Wildbestände durch Besatzung mit künstlich erbrüteten Fischen.

Auch hier zeigt sich die Zweischneidigkeit der Aquakultur, die ihre Vor- und Nachteile hat, ohne die es aber in Zukunft wohl nicht gehen wird, wenn die Welt ernährt werden soll. Es ist wichtig das Aquafarming kritisch zu betrachten und Entwicklungen langfristig im Auge zu behalten. Vorurteile aus der Gerüchteküche sind dabei wenig hilfreich, zumindest mir eröffnete der Vortrag eine teils überraschende Faktenlage und neue Sichtweisen.

Die University of Fish geht weiter, noch bis März 2011 gibt es monatlich eine Vorlesung, die nächsten Themen sind Nachhaltigkeit, Foodblogs (!) und Kochen mit Fisch.

www.deutschesee.de

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