Casita cooking (2): Gute Songs dauern drei Minuten

Geschafft. Unglaublich. 120 vegetarische Rezepte, Berge von Zubereitungsfotos, ein Film dazu. Es wird gefeiert, mit der Nachmittagsonne kommen wieder einmal die Gäste, Familie, Freunde, Nachbarn, es ist so viel von allem da und alle probieren. Heute ist alles ein bißchen anders, das liegt am Team, das liegt an uns, die Tour de Force der vielen Tage fällt ab, es wir getrunken, tiefer Cava, aus eisbeschlagenen Gläsern, ein Fest, der letzte Teller geht raus!

Kinder saugen Nudeln ein, Hundeköpfe hängen lechzend auf Granit, Erwachsene loben ausschweifend. Ein privater Blick zwischen Fotograf und Koch, wir wissen was wir geleistet haben, stoßen leise an, auf uns.

Alles zuviel aufeinmal, Menschenscheu, das habe ich gerne mal, wenn der Moment groß ist. Tellergestapel, Abschiedswinken in zwei Sprachen und drei Dialekten und auf zum Strand, verabschieden, schnell.

Ich packe den Wein aus der mir geschenkt wurde, Las Ribos von Christian Meuser, ein katalonischer Strand mit französischem Weißwein, wer die Nase ins Glas hält, freut sich auf Sand zu fallen, vor Begeisterung.

Ich war mal der König der Weltmeere, das Meer erinnert sich, mir kommts lang her vor. Ich habe Lust das Rauschen einzufangen, die Technik ist ja in der Innentasche und der Drang da, die Wellen auf Facebook zu tun. Einen Titel habe ich auch schon: “Gute Songs dauern drei Minuten”.

Drei Minuten nehme ich das Wellenrauschen auf, dann fällt mir ein, wem ich das Wellenrauschen wirklich schenken will und ich wähle die Nummer und halte das Handy an die Brandung. Gibts nicht auf Facebook.

In der Gastarbeiter-Casita spüle ich Geschirr, packe Wäsche zusammen, versuche mich zu erinnern: wie es aussah, als ich den Raum betrat. Ich bemühe mich redlich. Auf der Fensterbank: Bücher. Die sind alle von mir, alle von früheren Besuchen, Zurückgelassene. Spanische Autoren, von denen ich damals glaubte, sie würden vor Ort besonders gut funktionieren. Sie liegen hier, weil sie zurückgelassen wurden, weil sie hier nicht und auch an anderen Orten nicht funktionieren würden. Ich zögere kurz. Dann packe ich “Sowas von da” von Tino Hanekamp doch noch in den Koffer. Der Roman soll und muss dringend Zuhause einstauben, der hat Bleiberecht.

Achjadasrezept. Meeerlufthunger und Aufräumhunger, Koffer zu und mal kucken was nicht so da ist. In elegantes Papier eingeschlagen “SELECTUM-Xarcutería Selecta” findet sich ein weinerlicher Rest Gruyére-Käse, gleich daneben im verschmierten Plastikwrap ein Stück fahler Weichkäse der auf den Namen “Tierno” hört.

Mit dem Sparschäler (ich reise immer mit meinem Sparschäler, es ist ein ordinärer Fackelmann-Supermarkt-Mitnehmgedöns-Schäler, aber dieser Eine hat die perfekte Spurstärke!) hoble ich beide Käse in eleganten Streifen ins Müslischälchen.

Sonst ist nix da. Kein Zwiebelchen, der Knoblauch ging an die Monstergarnelen und Rosmarin ist unpassend. Olievnöl gibts und Salz und Pfeffer. So. Und jetzt kommt der Knaller. Das mache ich sogar in Zeiten den Unnot und ich möchte aller LeserInnen die tatsächlich bis hier hin mitgelesen haben, mit einem Grundgeheimnis meiner Küche bekannt machen:

Ich nehme das Wort Vinaigrette beim Wort. Da steckt Wein drin und ich tausche bei jeder Gelegenheit kratzige Essige gegen puren Weißwein/Cava/Sekt/Prickel. Salatsaucen zum Himmel, versprochen!

Schnell also einen Schwupps Las Ribos über die Käsezusammenkunft, dazu Olivenöl, Salz und Pfeffer. Ein Kanten Brot daneben und beim Drehen der Weinflasche knirscht Sand auf dem Esstisch. Ich freu mich trotzdem auf Zuhause.

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