Frankfurter Buchmesse-Rückblick (1): Nils Koppruch, Fleischsuppe, Foodblogger, Neuseelandweine und Housemusic

Donnerstag

Es ist unwirklich: ich steh auf einer Raststätte kurz vor Frankfurt und starre auf den Bildschirm meins Smartphones, dort meldet ein Facebook-Kontakt den Tod des Hamburger Sängers und Malers Nils Koppruch. Dienstagabend erst, hatten wir über Nils Koppruch gesprochen, war der Weinblogger und Autor Christoph Raffelt bei uns Zuhause gewesen um einen Podcast aufzuzeichnen -und unser Gespräch über Wein, Foodblogs und das Schreiben beginnt mit einer Unterhaltung über Nils Koppruchs Gemälde „Bärbel an der Bar“, dass seit vielen Jahren an der Wand beim Esszimmertisch hängt und ich erzählte Christoph von meinem Besuch im Atelier des Künstlers (nachzuhören hier auf originalverkorkt.de). Und jetzt behauptet ein Facebook-Kontakt auf meinem Smartphone, Nils Koppruch sei gestern gestorben. Ich google, bislang meldet nur das Hamburger Abendblatt offiziell. Als ich an der Buchmesse ankomme, sind es zu viele Meldungen für einen Irrtum. Nils Koppruch ist tot. Aus heiterem Himmel, einfach eingeschlafen, steht am Nachmittag auf der Seite des Künstlers.

„Bärbel an der Bar“, Nils Koppruch (SAM.)

Nils Koppruch habe ich ganz besonders als bildenden Künstler (SAM) geschätzt, seine Malerei hat mich immer schon berührt und begeistert und die wilde Geschichte, wie ich, bzw. die Liebste, wie wir zu „Bärbel an der Bar“ gekommen sind, das habe ich mal hier im Fünf Dinge-Blog erzählt.

Mein alter Freund Sven und ich, wir haben Nils Koppruch auch als Musiker zu unserer Lesereihe Kaffee.Satz.Lesen. eingeladen, das war am 22. Februar 2009 und er kam und spielte für kleines Geld und der ganze Saal hatte Gänsehaut. „Den Teufel tun“, hieß damals das aktuelle Album, das Titelstück sang er auch für uns:

Zuletzt habe ich ihn in der Hasenschaukel gehört, diese unglaublich warme, kraftvolle Stimme mit dem Reib, Koppruch ganz dünn, mit beachtlichen Augenrändern, dabei raumgreifend präsent, konzentriert, lakonisch, immer ein Lächeln mit Mut hinter den traurigen Lieder, denn: es geht ja weiter, irgendwie. Danke, Nils Koppruch, Danke für die Bilder, die Musik.

mairisch Verlag Buchmesse Stand. Im Erdgeschoss: Verleger Reichenbach bei der Arbeit

Am Buchmesseeingang sehe ich als erstes Rolf Eden. Im arg strapazierten, weißen Anzug pellt sich der sonnenstudiogegerbte Disko-Rentner vom Kudamm aus dem Taxi, er wird ewig leben, denke ich und mag den Tonfall nicht, in dem ich das denke, und ich wünsche beschämt alles Gute hinterher. Durch die Drehtüre kommt mir dann „Skandal-Rapperin“ und Sachbuch-Debutantin Lady Bitch Ray („Bitchsm-Emanzipation.Integration.Masturbation“) mit Bodyguards entgegen und ich ahne: das kann ja heiter werden, hier.

Der mairisch Verlag-Stand ist längst aufgebaut, seit Mittwoch sind meine Verleger auf der Messe, ich freu mich endlich da zu sein und darf auch gleich wieder los, Interview mit dem NDR für das 90,3 Abendjournal. Ich treffe Jens Büchsenmann am Lesezelt im Innnenhof, gemeinsam suchen wir einen radiotauglichen Unterschlupf im Messetrubel, es wird ein schönes Gespräch, sogar die Menülesung am Samstag im Hamburger Koch Kontor (Restkarten) findet noch Platz und Erwähnung. Besonders glückliche Fügung: während des Interviews nicht einmal ins Taschentuch gerotzt-ich bin sensationell erkältet seit gestern. Und die Stimme geht langsam weg. Und ich hab hier noch zwei Lesungen.

Die Reststimme verwende ich für die Organisation des morgigen Foodbloggertreffens. Foodbloggertreffen haben Tradition auf der Frankfurter Buchmesse, bislang waren wir immer die gleichen drei-vier Leute, die sich irgendwo in einem zugigen Durchgang kurz auf einen grässlichen Messe-Kaffee trafen. Dieses Jahr meldeten sich ein paar mehr Menschen via Facebook zum get together der kulinarischen Blogs, kurz hielt ich noch am zugigen Durchgang mit Messe-Kaffee fest, da rief das Buchmesse-Gastland Neuseeland in Form der Münchner Agentur häberlein & maurer an, man habe in meinem Blog vom Treffen gelesen und würde gerne, ohne jegliche Gegenleistung, ein paar Flaschen Neuseelandwein auf den Tisch stellen. Ich war begeistert! Problem: der Tisch. Ich bin dann hoch in die Gourmet Gallery und zum Tre Torri Verlag, der ein eigenes Messe-Restaurant unterhält, dort wurde uns schnell und unbürokratisch geholfen. Ein Zwölfertisch, morgen 15.00 Uhr, machen wir.

Auf dem Heimweg von der Buchmesse erwischte mich dann der bösartige Männerschnupfen mit voller Härte: mit fiebrigen Augen, heißem Kopf und tropfender Nase saß ich am Abendbrotstisch meiner Gastfamilie, den Eltern meines Verlegers Peter Reichenbach. Und Frau Reichenbach servierte Fleischsuppe mit Nudeln! Dampfende selbstgekochte Rindersuppe mit Klößchen und Fadennudeln unter güldenen Fettaugen die mir freundlich zuzwinkerten. Es wurde sofort besser mit der Erkältung und zu den à la minute gebratenen, käsegefüllten Rinderfilet-Röllchen mit cremigem Kartoffelgratin und grünen Bohnen im Speckkleid, passte dann auch schon wieder hervorragend ein Glas italienischer Rotwein aus Herrn Reichenbachs schier unerschöpflichem Vorrat.

Freitag

Mein freier Messe-Tag, bisschen am Stand rumlunger, bisschen über die Messe streifen, gemeinsam mit Freund und Blogger-Kollegen Torsten Goffin (Blog: Allem Anfang…) erlebte ich die beeindruckende Multimedia-Präsentation des Gastlandes im Neuseeland-Pavillion und natürlich besuchten wir gemeinsam das neue Kochbuch „Österreich vegetarisch“ von Meinrad Neunkirchner und der Kollegin Katharina Seiser (Blog: esskultur.at) am Stand des Christian Brandstätter Verlages. Ein Mitarbeiter des Hauses war so freundlich:

Bloggertreffen dann am frühen Nachmittag vor der Kochshow-Bühne der Gourmet Gallery, auf der gerade die Kochprofis ihr Scherze-Pingpong spielen. Wir halten nacheinander Ausschau und das klappt hervorragend, irgendwer weiß immer wie irgendwer aussieht und irgendwann sitzen wir an der hübschen Tafel im Tre Torri Restaurant und Sabine Fehrmann, Business Developement Manager des neuseeländischen Generalkonsulates in Hamburg hält eine kurze und interessante Einleitung ins Thema, erzählt ein bisschen zu den Weinen und überlässt den Rest unserem Geschmack. Selbst schmecke ich nichts. Meine Nase ist dicht, mein Kopf unter Druck wie ein Schnellkochtopf mit klemmendem Ventil, aber da sitzen ja glücklicherweise die Bloggbetreiberinnen und Blogbetreiber von Valentinas Kochbuch, Lunch for One, Kulinarische Momentaufnahmen, Moey´s Kitchen, From Snuggs Kitchen, Dinner um 8, Allem Anfang… !

Nach einem fröhlichen Nachmittag konzentrierter Weinarbeit ist man sich einig: der 2012 Villa Maria Sauvignon Blanc, Malborough ist Favorit bei den Weißweinen (dicht gefolgt vom Wither Hills Sauvigonon Blanc, Rarangivon 2011). Bei den Roten macht der 2010 Elephant Hill Syrah Hawkes Bay das Rennen und den Pinot Noir-Wettstreit zwischen dem 2009er Schubert „Marion´s Vineyard“, Weirarapa und dem 2010 Quartz Reef, Bendigo Central Otago, entschied Letzterer knapp für sich. Es ist der Agentur häberlein & maurer, Frau Fehrmann, den neuseeländischen Winzern und dem Team des Ter Torri-Verlags-Restaurants sehr zu danken, für diesen genussvollen Nachmittag. Mein Dank auch in die ganz große Runde, es war schön Euch kennengelernt zu haben und wenn aus Blogs, Gesichter und Persönlichkeiten werden, ist das immer noch mal eine ganz besondere Entdeckung.(Schöne Fotos von der Weinprobe gibt es im Dinner um Acht-Blog) Evetuell haben wir da ja eine Tradition begründet!

Am Abend laden meine Verleger ihre Autoren und MitstreiterInnen zum Essen ein, es gibt Tafelspitz mit Frankfurter Grüner Sauce und Bratkartoffeln und einer fehlt aus gutem Grund: Finn-Ole Heinrich, mairisch Autor der allerersten Stunde. Der hatte eine Stunde zuvor, gemeinsam mit der isländischen Illustratorin Rán Flygenring für ihr gemeinsames Buch „Frerk Du Zwerg!“ (Bloomsbury), beim Deutschen Jugendliteraturpreis 2012 in der Kategorie Kinderbuch gewonnen und muss darum leider woanders essen. Finn und Rán, ihr rockt, herzlichen Glückwunsch.
Hier ein Trailer zum Buch:

Frerk, du Zwerg – Buchtrailer from finnoleheinrich on Vimeo.

(Sie haben Kinder? Dann kaufen Sie „Frerk Du Zwerg!“ und wenn Sie keine Kinder haben, leihen Sie sich einfach kurz mal welche.)

Und weil Schwächeln nicht gilt auf der Buchmesse kommen meine Erkältung und ich sogar noch mit auf Bookfair a-go-go, die Party der jungen Verlage mit Verleihung der Preise Hotlist 2012 im Frankfurter Literaturhaus, das innen wie außen total frisch gestrichen wirkt. Und hübsch pompööös illuminiert!

Literaturhaus Frankfurt am Main

Drinnen ein hübsches Gewussel, ich kenn hier niemanden und gehe an einem etwas abseitigen Stehtisch in Stellung, tröööte still ins Schneuztuch. Kurz versuche ich die Disko im Saal, die DJs schütteln einen uralten Teppich staubiger Housemusic aus – schade ums wenig genutzte Literaturhaus-Parkett. Mir ist wahnsinnig fad und eigentlich denke ich immer, die Party bist Du, aber ich bin heute leider sehr krank und stell mich also wieder in die Ecke und google Nils Koppruch und da finden sich schon ungezählte Nachrufe, der Schrecken sitzt tief, aber auch die Liebe und der Respekt und die Freundschaft, da haben viele gute Worte gefunden und mein Stehtisch schwankt jetzt schon ein bisschen unter dem Gewicht der Schwermut, die sich neben mir niedergelassen hat. Um halb eins verlasse ich die Party. Und morgen ist ein neuer Tag.

(Morgen im 2. Teil des Buchmesserückblicks: wie liest es sich eigentlich ohne Stimme? Oder nach Harry Rowohlt? Dazu Tim Mälzers Greenbox-Präsentation(en), eine schlaue App und der große Schneuztuch-Test

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