Probiert: Konstantin Filippou, Wien

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Ich bin bekanntermaßen kein Freund der gefühlt hunderteiligen Leistungsschauen auf den Tellern der besten Restaurants, die oft bemüht das Formale strapazieren, dem Geschmack aber eher weniger zuträglich sind. Da zerfallen gut gedachte Kompositionen in mikroskopische Einzelteile, die essbaren Landschaften auf den Tellern lassen sich allesamt weglöffeln, da gibt’s nichts mehr zu schneiden, zu teilen, aufzugabeln. Bastelkram, nenne ich das mitunter abschätzig.

Und da saß ich also vor ein paar Tagen in Wien bei Konstantin Filippou, im gleichnamigen Restaurant und gleich der erste Teller eine akurat angerichtete, vielteilige Miniature – ich erlebte staunend eine erhellende Lehrstunde über den tieferen Sinn solcher Anrichteweisen, den ich bislang nicht erschmeckt hatte.

Konstantin Filippou ist in Österreich kein Unbekannter, der Spitzenkoch erkochte bereits in Anstellung im Novelli (Wien) 3 Gault Millau Hauben und 1 Michelin Stern, arbeitet u.a. bei Gordon Ramsey und Juan Mari Arzak. Vor gerade mal 5 Monaten eröffnete er sein eigenes Restaurant: „nur als Selbstständiger kann ich verwirklichen, was ich genau machen will“, erklärt mir Filippou am Ende eines grandiosen Abends.

Wir nehmen Platz am Kitchentable, zwei Stühle am Tresen der ausgelagerten kalten Küche, leicht erhöht mit Tür-Blick in die Hauptküche und über den gesamten Restaurant-Innenraum. „Wie auf dem Präsentierteller“, flüstert mir die Liebste zu, schnell sind wir aber doch restlos begeistert von unserer Wunschtisch-Reservierung: wir sind mittendrin, können beim Kochen und Anrichten zusehen, Fragen stellen, nachhaken – und nicht zuletzt auch ein bißchen fotografieren. Im schlichten, wunderschön minimalistisch gestalteten Restaurant mit seinen Eschenholztischen, den blau-grauen Wänden und der umsichtig warmen und zurückhaltenden Lichtführung, wäre das nicht so gut möglich. Ein Platz für interessierte Kulinariker und Foodblogger, der jeden Abend nur einmal vergeben werden kann.

Die Liebste wählt das Viergang Menü, ich die sechs Gänge. Los geht es mit Fines de Claire Auster. Bachsaibling. Aal. Pfirsich. Dill. Erdäpfel.

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So steht es auf der Karte und wir dürfen zusehen, wie aus unzähligen Einzelteilen, mit der Pinzette und Pipette angerichtet, eine wunderschöne zarte Kreation entsteht. Meine Resentiments schiebe ich beiseite und am Ende des Tellers verabschiede ich mich gänzlich von ihnen. Alles macht plötzlich Sinn. Die kleinteilige Anrichteweise dient der perfekten Dosierung der Aromen. Ein Beispiel: auf dem Teller findet sich ein Halbmond aus Pfirsich, darauf läuft, akurat auf Kante geschnitten, ein hauchdünner Streifen Aalfleisch. Lehrlingsfolter nannten wir so was früher. Im Mund die reine Perfektion, es ist exakt die richtige „Menge“ rauchiges Aal-Aroma im Verhältnis zum süßen, fruchtigen Pfirsichfleisch. Meisterhaft, mir geht ein Licht auf. Das hier ist definitiv keine Effekthascherei sondern ein akribisch berechnetes Geschmackserlebnis. Butterzart die Bachforelle unter einer rund ausgestochenen, hauchdünne Kartoffelscheibe mit perfektem Biss, feinsäuerlich schmilzt würziges Gelee und gibt die cremig-nussige Auster frei, die im Mund zergeht. Gerahmt wird alles von einer cremig-frischen Sauce. Gänsehaut, das könnte ganz groß werden, denke ich noch. Ich sollte Recht behalten.

Der zweite Gang ist übersichtlicher und erdiger. Filippou, der Grazer mit griechischen Wurzeln ist nur dem eigenen Geschmack verpflichtet, kocht ohne Grenzen, immer wieder aber blitzt Österreich in seinen Kreationen auf. Zum Niederknien gut, der folgende Gang, der eindrucksvoll Filippous Beschäftigung mit der „Heimatküche“ dokumentiert: Artischocke. Milch. Schulterscherzl. Kaffeeöl. Mark. Kerbel.

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Die Aufzählung ist Understatment, die Auflösung genial: ein Streifen butterzartes Rindfleisch, verbrigt sich unter Milchhaut, gedeckelt von warmem Mark, schwimmend in einer tiefen, hocharomatischen Brotconsomée (!), begleitet von Artischocken, luftig gerösteten Brotskulpturen und einer reichen Anisée-Creme, die mit Kaffee-Öl beträufelt ist. Hier stimmt alles und wieder stehen die, diesmal übersichtlichen, Einzelteile in perfektem Bezug zueinander, was Mengen und Aromen angeht. Das ist er. Mein Lieblingsteller 2013.

Lammbries. Karotte. Melone. Pata Negra. Kardamom. Sauerklee. Ist wieder so ein Teller mit dem Filippou sein von den Restaurantführern beurteiltes Leistungsniveau eindrucksvoll und mit spielender Leichtichkeit toppt.

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Handwerklich perfekt schlängelt sich hier die beste Wassermelone, die ich je aß (sous vide oder leicht getrocknet, eventuell), zungenförmig unter einem Beet von geräucherten Möhrenstücken, Pata Negra, Sauerklee und elegant gewürztem Kardamom-Schaum. Unfassbar, wie pointiert gut sich der Kardamom entfaltet und alles zusammenhält, auch das Bries in dunkler Jus, die der Liebsten fast schon zu viel ist, so komplex schmeckt alleine schon die Grundkomposition für sich.

5 Monate erst geöffnet, das Niveau ist meiner Ansicht nach deutlich auf zwei Sternen, was die Küche beträfe, das Sevicepersonal, insbesondere der junge und kundige Sommelier, begeistert, die Köche werkeln konzentriert als Team und in Höchstform. Wie ist das Möglich? In einem sehr lesenswerten Artikel im österreichischen Oscars Magazin (danke Kerstin, für den Hinweis!) erklärt das Wunder: Filippou hat das erprobte Team gleich mitgebracht.

Und die zaubern natürlich auch bei Makrele. Salatherzen. Räucherfisch. Olivenbrösel. Lauch. Krustentier.

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Wieder eine Komposition die eindrücklich zeigt, dass hier groß gedacht wird, Geschmack, Aromen und in diesem Gang besonders auch die Konsistenzen der einzelnen Bestandteile machen einfach Spaß und sind ein Genuss!

Der Hauptgang Presa Ibérico. Portulak. Eierschwammerl. Mais. Orange. Blutwurst. Kren. kommt auf zwei Tellern und beweist nochmals eindrucksvoll, wie regionale Küche und eine grenzenlos gedachte Kulinarik für spannende Ergebnisse sorgen.

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Zum Dessert ein schrecklicher Eklat!:-) Wir haben das falsche Dessert bekommen, nämlich Schokolade. Marille. Mohn. Kokos. Wenn Sie mal schaun wollen:

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Ich bin sehr einverstanden mit meinem „falschen“ Dessert und ich bin sonst überhaupt kein Dessertfreund, die Patisserie verführt aber selbst mich mit der warm-kalten, fruchtig-frischen Komposition. Und bemerkt den Irrtum. Was für ein Glück, denn nur kurze Zeit später erfreuen wir uns an Zitrus. Vanille. Oliveneis.

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Optisch aufgeräumt, schließt dieses Dessert in der Umsetzung nahtlos an die ganz großen Teller dieses formidablen Menüs an.

75 € zahlen wir für das Sechsgang-Menü, die vier Gänge kosten 56 € (Inklusive Steuer!). Versuchen Sie mal anderswo für dieses Geld und auf diesem Niveau ein Menü zu genießen. Meine Weinbegleitung dazu kostete 54 €, die wenigen Katzenschlucke der Liebsten fanden sich korrekt einzeln gelistet auf der Rechnung.

Als wir das Restaurant verlassen wollen, bittet der Sommelier uns noch um eine Minute, Herr Filippou wolle sich von uns verabschieden. Ein, zweimal erblickten wir den wohl eher scheuen Meister durch die Küchentür, jetzt verabschiedet er uns im Vorraum des Restaurants und ich bin froh über die Gelegenheit, Herrn Filippou persönlich und mit Handschlag sagen zu dürfen, dass er von nun an einer meiner Lieblingsköche ist. Danke – auch dem gesamten Team – für einen ganz großen Abend!

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