Tokio (3): Hingabe. Leidenschaft. Lebenslanges Lernen – Besuch bei zwei japanischen Meistern Ihrer Klasse

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In Japan lacht man höflich über unsere dreijährige Kochausbildung und auch das Pensum, das dabei angeblich bewältigt und erlernt wurde. In Japan verfolgt man die Idee lebenslangen Lernens, hinzu kommt der ausgeprägte Hang der Japaner sich zu spezialisieren: mache eine Sache richtig. Also richtig, richtig, gut. Gewinne die Meisterschaft in Deiner Disziplin. Das schlägt sich auch im Angebot der Restaurants nieder, nie fiele es dem Tempura-Koch ein, nebenbei noch Ramen-Suppen zu köcheln und der Sushi-Meister macht Sushi und sonst garnichts. Dafür in Perfektion. Zwei dieser Meister haben wir während unserer Tokio-Woche besucht und Sie ahnen es, es ist bereits die halbe Miete und ein Hochgenuß, diesen Männern bei der Ausübung ihrer Berufe (Berufungen!) zuzusehen. Stille, konzentrierte Bewegungen. Spannung und Konzentration. Hingabe. Leidenschaft. Stolz.

Umi 海味(うみ)
Minato-ku, Minami-Aoyama, 3-2-8 1F

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Dining experience nennt das der Kosmopolit, es ist dort in Japan viel mehr, es ist die Kunst sein Handwerk in Perfektion auszuüben, während der Gast staunt über die Meisterlichkeit in der Ausführung, die gleitenden Bewegungen, die Präzision – bevor er überhaupt einen Happen genossen hat. Oft sitzt der Gast in Tokio an langen Tresen, den Köchen gegenüber, kann zusehen beim werkeln, Fragen stellen und genießen, direktes Feedback geben.

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Die 13 Stühle entlang des hellen Holztresens der offenen Küche im Umi sind beliebt und über Wochen im Voraus gebucht – und das liegt nicht nur am ausgezeichneten Ruf des Sushi-Restaurants im Stadtteil Aoyama, das mit zwei Michelin-Sternen geadelt ist: Sushi-Großmeister Nagano-san selbst ist ein Erlebnis, das große Menü ein Glücksfall: 30 Teller in drei Stunden, alle sechs Minuten eine neue Kreation. Kalter Sake wird eingeschenkt, Glasaale serviert: sechs Stück an heller Misocreme. Der Meister ermutigt uns auf Japanisch mit Handzeichen, die taufrischen kühlen Fischchen erst pur zu probieren. Sie schmecken nach frischer Meeresbrise.

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Mit fließenden Bewegungen wird grüner Meerrettich gerieben und in Wellenform auf die Teller gebracht, ein Berg grüner Seetang dazu und winzige Calamari, die samt ihrer Innereien kurz gebraten und dann am Spieß serviert werden, butterzart und würzig. Der Meister lacht auch mit den Augen, freut sich an der offensichtlichen Begeisterung seiner Gäste. Akagai (Archemuscheln) werden serviert, Torigai (Herzmuscheln), Kohada-Hering und Pulpo mit pfeffrigem (!) Gomasi, einer Mischung aus geröstetem, geschrotetem Sesam mit Salz. Die Güte und Qualität der Meeresfrüchte sorgt für klare Aromen und der Meister zeigt, wo nur Salz die zweite Zutat sein soll und wozu die helle salzarme Sojasauce gut passt.

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Nach gegrillter Brasse und Seegurke mit Schnittlauch in Sojasud, die ersten Sushi: Korn an Korn, handwarm der Reis, mit leichtem Biss, fein gesäuert mit gereiftem roten Reisessig. Hering, Sardelle, Makrele, Sepia im Nigiri-Stil und Seeigel-Gunkanmaki. Wie in Versenkung arbeitet der Meister, jede Muskel seines Körpers ist gespannt, leise murmelt er knappe Kommandos, die mit umso lauteren „Hai!“-Rufen der gesamten Belegschaft in Vorküche und Restaurant bestätigt werden, so auch von der Service-Dame hinter mir, die ich nicht habe kommen hören. Vor Schreck verschütte ich einen Pütscher Sake aufs Parkett.

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Der Fatty Tuna auf Reis zergeht cremig im Mund. Ebenso cremig wie der kurz gratinierte „sperm sac of cod“, mein Kopf macht nicht mit, ich kaue tapfer und denke an mutige Samurai-Kämpfer. “Sumimasen!” Ein anderer Höhepunkt des Abends sind lebende Garnelen, die der Meister uns beinahe zärtlich präsentiert, dabei mehrfach auf die Schönheit der Tiere hinweist. Wir bewundern die hübschen Krebstiere ausgiebig, dann geht alles sehr schnell. Nur Sekunden später liegt ein Stückchen roher Garnelenschwanz auf dem Tellern, begleitet vom blauem Rogen. Frischer aß ich noch nie Garnele, die Konsistenz wie feines Marzipan, das Fleisch nussig, süßlich, klar.

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Es ist eine Ehre, dass wir nach der abschließenden hellen Miso-Suppe mit Rettich und Lauch noch in die Küche hinter den Tresen gebeten werden. Foto-Time! Der Meister stattet uns mit den scharfen Schwertern und Langmessern seiner Sammlung aus („Not quick move, now!“), selbst greift er zu einem Paar Küchenstäbchen und: Klick. Auch die japanischen Gäste zücken kichernd die Handys und fotografieren wie wild. Mit großem Ernst werden anschließend noch Visitenkarten und Verbeugungen der Dankbarkeit ausgetauscht und schließlich auf dem Weg nach draußen noch brüllend eine gute Nacht gewünscht: „Arigatō gozaimansu! Oyasumi nasai!“ Ein großer Abend.

Mikawa Zezankyo
1-3-1 Fukuzumi, Koto-ku, Tokyo

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Wesentlich ruhiger geht es im Restaurant von Tempurameister Tetsuya Saotome zu. Hier drückt sich die Meisterschaft in Gottesdienst-ähnlicher, erhabener Feierlichkeit aus. Klaviergeklimper, Frittiergeräusche. Konzentriertes Werkeln. Schüchtern klappern die Stäbchen. Der Service beobachtet jede Bewegung der Gäste an den insgesamt neun Plätzen. Ansonsten ist Ruhe. Still genießen die Gäste. Ein Besuch in Tokios bestbewertesten Tempura-Restaurant „Mikawa Zezankyo“ (1 Michelin Stern) hat durchaus was Sakrales. Und der butterweiche Tintenfisch beispielsweise dürfte als geheiligt die Friteuse verlassen, in Knusperhauch gehüllt.

Doch zuvor werden Garnelen frittiert und mit fermentierten Gemüsen, Sojasauce mit geraspeltem Rettich. Produktküche auch hier, die Garnele dürfte nicht sehr viel länger überlebt haben als jene im Umi, der Teig ist dünn und kross. Das gilt auch für den schon erwähnten ika – Tintenfisch, den man in dieser Konsistenz wohl nur durch lebenslanges lernen hinbekommt. Es werden auch die gesäuberten Garnelenköpfe serviert, krachend-knusprig, wie Chips, kurz zuckt man, dann freut man sich. Einer wärmenden klaren Suppe mit Koriander folgen knusprig frittierte Shiso-Blätter die vorab mit Seeigel-Rogen gefüllt wurden, dann gibt es kleine frittierte Knusperfischchen.

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Und ja, es wird tatsächlich überwiegend “einfach nur“ frittiert an diesem Abend und das hat durchaus auch für den Gaumen hohen Unterhaltungswert. Variiert werden die Grundzutaten, die Viskosität und Zusammensetzung des Teiges. Das ist es und das ist viel, das sind Feinheiten. Leider wird an diesem Abend auch wieder der Sperm Sac of Cod serviert, ich beiße in die knusprige Kruste und puddingwarm füllt die Masse meinen Mund, fast gibt es ein kleines Malheur, hastig schiebe ich das komplette Schüsselchen mit eingelegtem Ingwer nach und kaue hektisch. Nochmal gut gegangen. Mein Problem. Das Zeug hat leider Saison und der Meister steht in der Tradition der 150 Jahre alten edomae-Küchentradition, er verarbeitet streng saisonal nur, was Region und Jahreszeit hergeben.

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Knuspriger Aal wird aufgetragen und grüner Spargel, würzige Shiitake. Dann folgt ein echter Kracher. Der Meister entnimmt der Fritteuse knusprige Bällchen, die dann in eine Brühe versenkt werden, sich dort leise auflösen: eine Mischung aus Brot-ähnlichem Teig mit Muschelfleisch, auf Geheiß rühren wir frisch geriebenes Wasabi in die Brühe und löffeln andächtig. Das Dessert ist wirklich eine Überraschung. Zwei riesengroße rote Riesenbohnen, weich gekocht und mit Puderzucker bestäubt, das ist es und das ist überraschend gut. Und am Ende des Abends tuscht der schweigsame ältere Herr dem Gast noch individuell ein Tierchen auf die Speisekarte. Zum mitnehmen. Hach, Japan.

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