Tokio (5): noma in Japan – Besuch bei René Redzepi im wohl berühmtesten Pop-up Restaurant der Welt

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„Hier in Japan habe ich gelernt, dass wir eigentlich nichts wissen. Wir müssen alle noch viel lernen. Und wir müssen weg von der Kreativität, uns mehr auf das Wesentliche konzentrieren.“ – der Mann der diesen Satz sagt, macht diesen Satz zur kleinen Sensation, denn es ist René Redzepi, einer der kreativsten und bekanntesten Köche der Welt. In seinem Restaurant noma in Kopenhagen entwickelt er die Ideen der Nordic Cuisine beständigt weiter. Im Moment steht er an unserem Tisch, im 37. Stock des Mandarin Oriental Hotels in Tokio, sieht durchs Panoramafenster hinaus und über die Stadt und hat eben diesen Satz gesagt. Den Besuchern aus Deutschland stehen die Münder offen und Redzepi bemerkt das. „Ja was? Habt Ihr gedacht ich mache jetzt 20 Jahre lang DAS NOMA?“

Das noma wird sich also verändern, sich neu erfinden, das Erfolgskonzept wird überdacht. Und daran dürfte das Gastspiel in Tokio großen Anteil haben. „Ich habe überlegt: wo würde ich selbst gerne nochmal in die Lehre gehen?“ erklärt Redzepi, es war seine Idee mit dem kompletten Restaurant temporär nach Tokio zu ziehen, mit 77 Mitarbeitern und unzähligen Containern Equipment, einmal um die Welt. Super lesenswert ist dazu der Hintergrundbericht zum Umzug von Lisa Abend im „The Guardian“! Nur wenige Wochen kochen Redzepi und seine Mannschaft in Tokio auf, alleine sieben vorbereitende Japan-Flugreisen haben sie gemacht, sich mit der japanischen Produktwelt bekannt gemacht, Bauern, Händler und Märkte besucht, Lieferanten gesucht und auf Basis der noma Philosophie ein regionales 17 Gänge Japan-Menü konzipiert.

Hier einen Tisch zu bekommen, war eine Unmöglichkeit – und da hatten wir Glück, allerdings erst in der Verlängerung des Gastspiels. Die 3400 möglichen Reservierungen für die ersten Wochen waren an einem Tag ausverkauft – und 58.000 Menschen auf der Warteliste. An diesem Mittag sitzen wir also glückspilzmäßig und erwartungsvoll am Rundtisch, genießen die Aussicht und die, ja wirklich, fröhliche und unangestrengte Atmosphäre. Champagnerlaune und die ersten Gänge.

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Ein kühler Salat von grünen Erdbeeren und Gurke mit Sakesauce, fermentierter Sardelle, Zitrone und Basilikum – erfrischend und perfekt im Zusammenspiel. Die Garnele im zweiten Gang liegt auf Eis und es strömt noch Leben durch den rohen Schwanz der mit Ameisen aus den Wäldern von Nagano belegt ist. Die Säure der Ameisen würzt den Garnelenschwanz, eine Reminiszenz ans Mutterhaus in Kopenhagen, dort säuern die Ameisen in Ermangelung von Zitronen einen Tatar. Eine Offenbarung ist der nächste Teller, ein Zitrussalat von vier japanischen Zitrusfrüchten (Suntan, Kabuosu, Hassuku, und Mikan) zitronig frisch und leicht geschärft mit Sanchopfeffer, Pfefferblättern und einem samtigen Kombu-Öl mit nussigen Noten. Groß!

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Es folgt eine hauchdünne geröstete Brotschnitte die dick mit gehobelter Seeteufelleber belegt ist, bißchen Meersalz, etwas Zitrone, mmmhhh. Beherzt greife ich zu, das Brot bricht und die Herrlichkeit verteilt sich flächendeckend. Schmeckt aber auch von der Serviette sehr gut. Die Sobanudeln im nächsten Gang entpuppen sich als in Streifen geschnittener, roh marinierter Tintenfisch, die „Nudeln“ werden in einen Dashidip mit Rosen getunkt und alleine die Konsistenz des marzipanweichen Tintenfisch ist großartig, salzige Noten, die süße des Dashi-Dips, das florale der Rosen. Handwerklich ist das sowieso alles perfekt, die Kreation selbst unvergleichlich tief, rund, mehrdimensional und dabei harmonisch. Die folgende Tarte funktioniert nochmal ähnlich, spielt zudem mit Konsistenzen: krachend knusprig der salzige, hauchdünne Boden, bestrichen mit säuerlicher Kiwi-Paste und belegt mit rohen Shijimi Süßwassermuscheln. Im Kayoubidesu-Blog lese ich, dass das ein typischer Fall von Lehrlingsfolter sein soll: „…to prepare enough clams for each day’s service requires some 13 chefs to work more than 4 hours each“. Hat sich aber gelohnt!

Der Besuch des Kayoubidesu-Blogberichts über seinen (frühen) noma-Tokio-Besuch lohnt übrigens, nicht nur zeugen die Bildbeschreibungen der einzelnen Teller von Geschmack und Fachwissen um die japanischen Produkte, die Bilder zeigen auch wie stark sich die Küchenmannschaft (im vergleich mit meinen (späteren) Bildern) nochmals mit dem Menü beschäftigt und einzelne Gänge weiter entwickelt hat. Spannend, das im direkten Vergleich nachvollziehen zu können.

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Genial „einfach“ sind die nächsten drei Teller: gedämpfter Tofu zerfällt cremig unter rohen Walnüssen, dazu eine Yuzu-Miso-Paste als Würzen, etwas Petersilienöl. Fertig! In Kohlblatt mit Limettenzesten gewickelter Seeigelrogen schmilzt im Mund, drei Zutaten wage ich zu behaupten und: bähmm! Am folgenden Jakobsmuschelschwamm scheiden sich die Geister bei Tisch: zu fett und buttrig ist es den einen, ich bin halt nicht so ein Fan von Schwämmchen, es zergeht aber hocharomatisch, nussig, cremig im Mund, Meersalz kitzelt den Gaumen.

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Butterzarter Kürbis schmiegt sich im Folgenden an Kaviar, schwimmend in einer duftigen, cremigen Sauce mit Kirsch- und Sesam-Aromen, gesalzene, getrocknete Kirschblüten und getrocknetem Bonito. Sehr komplex, mir ist es einen Tick zu blumig, Geschmackssachen. Und auch die überwiegend salzigen „Garlic Leaves“ sind nicht so meins, ein wirklich fordernder Gang, Kaubonbon-artig, auch hätte ein Blatt genügt. (Sie sollten mich sehen: während ich das Schreibe rutsche ich nervös auf dem Stuhl herum, denn mir ist klar, das hier ist Jammern auf allerhöchstem Niveau und außerdem: OMG -ich kritisiere gerade einen der besten Köche der Welt.) Mehr als befriedigend der feine nächste Gang mit unterschiedlichsten japanischen Wurzeln in einer würzigen Dashi-Emulsion, sehr fein.

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Die im ganzen über Feuer geröstete Ente in zwei Gängen ist natürlich auch optisch ein schönes Gimmick, vor allem aber perfekt gereift, rosa gegart und von unvergleichlichem Aroma, wild, rauchig, wunderbar. Der beste Fleischgang den ich seit langem genießen durfte. Den säuerlichen Dip aus Mastubusu Beeren hätte ich nicht gebraucht, lenkt nur ab. Zwischen den Gängen ein butterzartes Rübchen in grünem Würzöl, das erdig, tief und „pilzig“ schmeckte.

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Drei Desserts folgen aufeinander und bekanntlich beharre ich ja nicht auf einem süßen Finale, das hier war allerdings große Klasse: cremige Sake-Eiscreme zwischen knusprigen Reisblättern, supplement bitte! Dann die in dunklem Rohrzucker geschmorte Süßkartoffel (die vorab getrocknet und sous vide gegart worden waren!), begleitet von einem Dip aus grüner Kiwi, das begeistert mich, diese vermeintliche Einfachheit und die wesentlichen Detail-Aspekte. Auf Moose serviert die „Friandiese“, statt Pralinen und Feingebäck gibt es mit Schokolade überzogenes (Stein-)Pilzkonfekt und die Kombination aus erdigem Pilzaroma und bitterer Schokolade ist dringlichst zu vertiefen.

Ein grandioser Mittag, geprägt von neuen Geschmäckern und Aromen, der unfassbaren Küchenleistung der noma Mannschaft und René Redzepi und der Herzlichkeit des Serviceteams.

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Wie genau sich das Japan-Gastspiel auf die Philosophie des noma Restaurants in Kopenhagen auswirkt, das wird sich zeigen. Am 17. März beginnt die Reservierungsrunde für den Monat Juni und am 6. April für den Juli.

Alle Texte meiner kulinarischen Tokio-Reise mit Direktlinks in der Übersicht:

Tokio (1): Der Tag, an dem ich aufhörte, außerhalb Japans Sushi zu bestellen

Tokio (2): im Ramen-ya. Life doesn’t work without Nudelsuppe

Tokio (3): Hingabe.Leidenschaft.Lebenslanges Lernen – Besuch bei zwei japanischen Meistern Ihrer Klasse

Tokio (4): Der will nicht nur spielen – Besuch beim “jungen wilden” Zaiyu Hasegawa

Tokio (5): noma in Japan – Besuch bei René Redzepi im wohl berühmtesten Pop-up Restaurant der Welt

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