Es ist angespargelt – Wissenswertes zum geliebten Stangengemüse

Spargel_Deutschstunde-518x564 Foto: Andrea Thode, Rezept: Effilee

Bis Johanni nicht vergessen: sieben Wochen Spargel essen, reimt der Volksmund. Schon Ende April werden in Deutschland die ersten Köpfchen gesichtet, Tunnelfolien und bodenbeheizte Äcker narren die Natur. Richtig rund geht es aber erst in den Monaten Mai und Juni, beherzt bohrt sich dann der Asparagus officinalis, durchs warme Erdreich zur Sonne, die Spargelsaison ist eröffnet. Der weiße Spargel ist Deutschlands erfolgreichstes Gemüse, trotz kürzester Ertragszeit belegt er die größte Anbaufläche. Auf über 21000 Hektar wird Spargel kultiviert, Karotten und Möhren bringen es gemeinsam nicht mal auf die Hälfte der Bodenfläche. Der Spargelverbrauch der Deutschen steigt seit Jahrzehnten beständig, einen Acker gibt es in jeder Ecke der Republik und natürlich wird überall stolz verkündet einen besseren Spargel als den vor der eigenen Haustür könne es gar nicht geben!

Die streng regional geprägte Begeisterung der Deutschen zu „ihrem“ Spargel ist nur noch mit der Vereinstreue hingebungsvoller Fußballfans vergleichbar. Das belegen auch eindrucksvoll die Zahlen der Billig-Spargel-Importe aus anderen EU Ländern, sie machen während der Saison nur 2 % des Gesamtumsatzes in Deutschland aus. Die größten Anbau-Bundesländer sind Niedersachsen mit mehr als 25 % der Anbaufläche, gefolgt von Nordrhein-Westfalen. Dort erfreut sich besonders der Walbecker Spargel aus den Sandböden des Niederrheinufers überregionaler Bekanntheit. In Schleswig Holstein und Hamburg isst man am liebsten Spargel aus Lauenburg an der Elbe, Brandenburg schwört auf Beelitzer Spargel, in Baden lobt man stolz Bruchsal und Schwetzingen, in Bayern ist der Schrobenhausener Spargel weltberühmt. Es sei mir an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass natürlich nur im oberschwäbischen Schussental, bei Tettnang, unweit meiner Heimatstadt Ravensburg, der köstlichste Spargel aller Spargel wächst. Unvergleichlich!

Bei all der Leidenschaft für das Gemüse aus der Familie der Liliengewächse wundert es, wie spät die Deutschen zum Spargel kamen. Schon die alten Griechen genossen wilden Spargel zum jungen Wein und die alten Römer gerieten über die zarten Stangen derart in Verzückung, dass sie die Pflanzen kultivierten und Anbautechniken entwickelten. Sowohl Hippokrates aus Kos (ca. 460-370 v. Chr.) wie auch der römische Staatsmann, Geschichtsschreiber und Gärtner („De agri cultura“) Marcus Portius Cato der Ältere (ca. 234-149 v.) erwähnen in Schriften neben dem kulinarischen, vor allem den medizinischen Wert des Asparagus. Neben dem Wissen um die harntreibenden und reinigenden Eigenschaften machten schon damals Gerüchte über die libidinöse Wirkung des Gemüses die Runde. Und während Jean de la Quintinie, Gärtner im Dienste Ludwig XIV, mit Mistbeeten experimentierten um den Sonnenkönig ganzjährig mit frischem Spargel zu verpflegen, lag Deutschland noch im 17. Jahrhundert spargeltechnisch eher im Dämmerschlaf. Der weiße Spargel setzte sich sogar erst im 19. Jahrhundert langsam gegen den grünen Spargel durch, erhältlich war er zunächst nur in Apotheken und Klösern.

Vor dem Genuss muss der beliebte Spätentwickler geschält werden. Am schnellsten macht das derzeit Steffen Hinkelmann aus Stralsund. Mit 3.400 Gramm geschältem Spargel in fünf Minuten hält der gelernte Koch den derzeitigen Weltrekord. Das sind fast 50 Stangen. Im Heimversuch dauert das ein bisschen länger, der meditative Charakter von entschleunigtem Spargelschälen ist aber auch nicht zu verachten. Keine Kompromisse dürfen beim Spargelkochen gemacht werden. Die weit verbreitete Unsitte das Kochwasser mit Zitronensaft zu säuern um möglichst strahlend weißen Spargel zu bekommen ist ärgerlich, denn der weiße Spargel verliert dabei Eigengeschmack, schlimmstenfalls schmeckt er wie Erfischungstuch. Auch die Zugabe von Weißwein macht es nicht besser. Ans Spargelwasser gehören nur Salz, eine Prise Zucker zur Unterstützung des Eigengeschmacks, und sonst nichts. Die Zugabe von Butter ist vollkommen sinnlos und hat den gleichen Effekt wie die ebenfalls weit verbreitete und beliebte Zugabe von Olivenöl ans Nudelwasser: Butter und Öl verschwinden mit dem Kochwasser in der Kanalisation. Nach dem Kochen darf Spargel dann aber sehr gerne in Butter gebadet werden, eine unschlagbare Kombination.Zusammen mit einer Schinkenspezialität aus der Region und gekochten Kartoffeln aus heimischem Anbau fühlt sich Spargel als Hauptdarsteller am wohlsten, er duldet nicht viele Beigabe oder Gewürze neben sich. Die Hollandaise ist ein weiterer, klassischer Begleiter.

Im Badischen serviert man zum Spargel gerne Kratzete und dafür schieben sogar Norddeutsche die geliebten Kartoffeln ausnahmsweise mal zur Seite. Kratzete sind eine Art salziger Kaiserschmarrn, luftig gebacken, mit vielen Kräutern. In Berlin und Brandenburg wird der Spargel gerne mit Butterbröseln gereicht, dabei ist das Mengenverhältnis ausschlaggebend fürs kulinarische Glück, mehr Butter als Brösel sind das Geheimnis, bestenfalls gibt es also Bröselbutter. Und die Hessen servieren natürlich gerne ihre Grüne Soße dazu, das macht auch jahreszeitlich großen Sinn, die vielen frischen Kräuter schmecken im Frühsommer am besten.

Jetzt schnell zu Tisch, Spargel will kochwasserfrisch serviert werden! Einst legten Spargelesser selig den Kopf in den Nacken, die Stangen wurde mit der Hand aufgenommen und senkrecht von oben in den Mund geführt, so wie das heute nur noch beim Matjesheringsfilet erlaubt ist. In vornehmen Häusern galt diese Technik aber zu jeder Zeit als Unfein, dort wurde der Spargel mittig geknickt, aufgegabelt und war so auch nur äußerst strapaziös in den Mund zu bekommen. Heute haben sich, zumindest in Gesellschaft, Messer und Gabel durchgesetzt.
Kirschen rot, Spargel tot, reimt der Volksmund, das Ende der Spargelzeit ist in Deutschland aber auch kalendarisch exakt festgehalten: am Johannistag, dem 24.Juni ist hochoffzielles Saisonende. Bis zum nächsten Jahr. Wer zwischendurch schon mal die weit gereisten Spargel-Surrogate aus Peru oder Chile gekostet hat, der weiß: das Warten lohnt!

Der Text erschien, in leicht abgeänderter Form und Rezepten für Kratzete und Hollandaise in „Herr Paulsens Deutschstunde

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