Zwei Bücher über Fleisch. Eines ist für Vegetarier.

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Crafted Meat – Die neue Fleischkultur: Rezepte, Handwerk und Genuss

Er ist ein notorischer Nörgler in Sachen Kulinarik, geht als Aktivist für ökologisch sinnvolle Ernährung und dem Schutz von Handwerk, Tier und Produkt den politischen Entscheidern in Berlin auf die Nerven, ist Botschafter des guten Geschmacks, in der Slow Food Youth engagiert, Erfinder der Schnippeldisko, Hüter des Einzigen und Wahren und das darf dann auch mal die Hessische Ahle Wurscht sein, für die der Künstler und Kommunikationsdesigner Hendrik Haase zum Wurstbotschafter und „Wurstsack“ wurde, so der Name seines Blogs.

Immer schon war insbesondere bestes Fleisch sein Gemüse, Tierwohl eines der großen Themen des Foodaktivisten – und weil Haase nicht länger nur der Mahner des Metztgerssterben in Deutschland sein wollte, hat er gemeinsam mit Fleischermeister Jörg Förstera im November eine eigene Metzgerei eröffnet, in der Markthalle Neun in Kreuzberg. Da steht sie nun, die Metzgerei Kumpel & Keule, gläsern, aufklärerisch, anders und natürlich auch auf Facebook. Und das Feuilleton berichtet.

Für alle, die nicht in Berlin leben, findet sich die neue Fleischwelt in einem bemerkenwert schönem und erhellenden Buch zum Thema, das Hendrik Haase herausgegeben und mitgeschrieben hat, zusammen mit dem Ökothrophologen und Journalisten Benedikt Ernst (Mit Vergnügen) und der Genussexpertin, PR-Frau und Pressesprecherin (Otto Gourmet) Beatrix Eichbaum. Ein Buch das Fragen beantwortet, etwa die, wieviel Fleisch wir uns eigentlich noch leisten können und zu welchem Preis. Was bestes Fleisch und gutes Metzgerhandwerk eigentlich ausmachen.

Crafted Meat beginnt bei und mit den Tieren, erklärt und gezeigt werden Schweine- und Rinderrassen, Lämmer, Schafe, Geflügel und Wild – eine „Warenkunde“, die das Tier als Lebewesen vergegenwärtigt. Ein Tier das für uns geschlachtet und im zweiten Kapitel fachgerecht zerlegt wird, auch spezielle Zuschnitte und Cuts werden erläutert.

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Dann geht es um die Wurst, um Schinken und Pastrami, um das Pökeln, Salzen, Räuchern, Fermentieren und Trocknen. Appetitlich bebilderte Produktkunde inbegriffen, dazu Anleitungen und Tipps zu Lagerung und Verkostung.

Und dann Portraits von Menschen und Orten, bei der die neue, die achtsame Fleischkultur, schon im Angebot und Zuhause ist. Besuche in Stockholm, Berlin, Kopenhagen, den USA, Hessen, Tschechien, der Toskana (Dario!) und Amsterdam, Paris, Zürich und St. Moritz. Hier ist das Buch für mich am allerstärksten: unterhaltsam, informativ und mit Ideen, Inspirationen und Gedanken für die Zukunft und das Hier und Jetzt.

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Und wer glaubt, ein Buch über Fleisch, können nicht einfach auch ein Coffee-Table Book zum Anschauen und Schwelgen sein, der wird hier eines Besseren belehrt, alles ist ansprechend schön, teils rau und dokumentarisch fotografiert, appetitlich und anregend. Das ist insofern besonders bemerkenswert, weil dieses Buch die Arbeiten von unzähligen Fotografen zusammenträgt, darunter klingende Namen wie Per Anders Jörgensen (fool Magazin), Kate LeSueur, Rogier Chang.

Gut durchdachte, spannende Nose-to-tail-Rezepte der Köche Lode van Zuylen und Stijn Remi (Lode & Stijn) für Pasteten, Sülze, Innereien, Wurst und Pie runden das Buch ab, die Herstellung einiger Würste wird erklärt.

Die Weltreise in Sachen Fleischgenuss mit Zukunft ist angenehm weit weg von böllernder Steak-Männlichkeit am Grill und der Superlativ-Fleischbeschau die das Thema dieser Tage gerne medial begleitet. Ein wunderbares Buch für denkende Kulinariker, für interessierte FleischgenießerInnen, die es genau wissen wollen.

Crafted Meat
Die neue Fleischkultur: Rezepte, Handwerk und Genuss

Das Buch zur neuen Fleischkultur.
gestalten Verlag
Hendrik Haase, Robert Klanten, Sven Ehmann
Vollfarbig, Hardcover, 256 Seiten
ISBN: 978-3-89955-595-0
39.90 €

9783038008965

Meat The Green – Das Hiltl Kochbuch zur ersten vegetarischen Metzgerei der Schweiz

Humor und Kreativität sind die Hauptzutaten in diesem wunderschön gestalteten Buch, dass Vegetariern das Fleisch zurück bringt – rein pflanzlich natürlich! Viel wurde schon diskutiert über Sinn und Unsinn der Fleisches-Sehnsucht die selbst gestandene Vegetarier von Zeit zu Zeit ereilt, einer Sehnsucht die sich mit Formfleisch-Imitaten nur schwerlich lindern lässt.

Ob es denn sein müsse, dass die vegetarische Küche hin und wieder auch im Gewand der Fleischeslust daher komme, ist die große Frage und die Antwort ist: ja natürlich. Tofu-Burger, Pilz-Bolognese, Quorn-Schnitzel und Seitan-Saté sind längst in der Mitte des nächsten Streetfood Markets angekommen und das Soja-Presswürstchen alleine niemals eine Alternative sein können, dürfte sich auch rumgesprochen haben.

Meat the green geht allerdings wesentlich raffinierter und kulinarischer mit dem Thema Fleischgerichte aus Gemüse um, die Rezepte sind allermeist neu gedachte Adaptionen verschiedener Fleischklassiker und statt Surrogat gibt es (überwiegend) neue kreative Geschmackswelten aus der Vegi-Fleischerei.

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Los geht es mit Tatar aus Auberginen und Roter Bete, im Buch finden sich auch fleischliche Leckereien wie Köttbular, Zürcher Geschnetzeltes ebenso wie Carbonara mit Räuchertofu, scharfes Pad Thai, Teriyaki Udon Nudeln.

Geschmacklich am stärksten ist das Buch immer dann, wenn der Fleischgeschmack, wenn das Umami aus natürlichen Produkten und Würzungen entsteht, es wird daneben viel mit Soja, Seitan und Tofu gearbeitet – unbehandelt sind das kulinarische Kulturgüter mit teils Jahrhunderte alter Tradition. Teilweise wird aber auch mit Produkten wie „veganer Cervelats“ gearbeitet, Produkte aus dem beachtlichen Sortiment an „grünem Fleisch“ aus der Züricher Vegi-Metzgerei Hiltl. Im angegliederte Stammhaus findet sich das, vom Guinness Buch der Rekorde als ältestes vegetarisches Restaurant der Welt ausgelobte, Haus Hiltl, seit 1898 wird hier ausschließlich vegetarisch gekocht.

Im lässig-kreativen Kochbuch von Rolf Hiltl steht der Spaß an der lustvollen Vermengung von fleischlichen Genüssen mit vegetarischer Entsprechung im Vordergrund.

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Einen Großteil seines Witzes und seiner Appetitlichkeit, zieht das Buch aus der wirklich mundwässernd eleganten Fotografie von Sylvan Müller, dessen Arbeiten mich schon lange begeistern. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle auf sein Buch Japan (das ebenfalls im AT Verlag erschienen ist und für mich schlicht das atemberaubend schönste Buch zur japanischen Küche und Esskultur ist. In meinem Kochbuchjahresrückblick werde ich den fulminanten Band in den nächsten Tagen gesondert und ausführlich besprechen.

Großartig gelungen sind die Portraits fiktiver Vegi-Metzger (Styling Karin Böhnke, Maske: Barbara Grundmann-Roth), die Foodfotografie selbst ist lebendig, formschön und ja nochmals: elegant! Hier sei gerade auch mein Kollege Christian Splettstösser gelobt, dessen Food- und Interior-Styling wirkungsvoll Eleganz mit vermeintlicher Beiläufigkeit inszeniert.

Nicht verheimlichen will ich, dass auch ich am Buch mitwirken durfte: ich freue mich sehr, dass mein Text „Das Fleischmuseum“ für das Buch angefragt und abgedruckt wurde. Das beeinflusst meine Bewertung des Buches allerdings nicht: ein feiner Spaß, eine Bereicherung mit einem sehr eigenen, alternativen Vegi-Konzept, das gleichermaßen schmeckt und gefällt.

Meat The Green – Das Hiltl Kochbuch zur ersten vegetarischen Metzgerei der Schweiz
Rolf Hiltl
AT Verlag
Vollfarbig, Hardcover, 160 Seiten
ISBN: 978-3-03800-896-5
49.00 €

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