Lissabon – Alentejo – Algarve – eine kulinarische Portugal-Reise: (1) Lissabon

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Als wir den Flughafen in Lissabon verlassen, umarmt uns die trockene Hochsommerhitze herzlich und unvermittelt – wir freuen uns, die letzten Wochen und Monate in Hamburg waren zermürbend, eine ständig sich wechselnde Abfolge von Regen und Nieselregen, mit kühlen bis stürmischen Böen, dazwischen scheinheilige „Sonnenabschnitte“ die sich nach Minuten wieder hohnlachend verabschiedeten, zugunsten eines Gewitters, zum Beispiel. Sommer, das war etwas, dass der Kalender behauptete. Portugal also, eine Rundreise von Lissabon durchs Alentejo, an die Algarve und zurück. Sonnenschein können die hier.

Hotel H 10 Duque de Loulé
Wir checken ein ins 2015 eröffnete Hotel H 10 Duque de Loulé, ein charmantes Hotel in den Gemäuern eines Stadthauses aus dem 18. Jahrhundert, renoviert und gestaltet vom renommierten Innenarchitekten Lázaro Rosa-Violán, dem dort das Kunststück gelungen ist, moderne Urbanität mit portugiesischer Tradition zu verknüpfen, ohne die Folklore-Keule zu schwingen, klar, aufgeräumt, Licht und heimelig.

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Ein Zimmer kostet hier, wenn man früh bucht, auch in der Hauptsaison, gerade mal das Geld für eine Übernachtung in einem deutschen Ibis-Hotel. Schwierig ist die konstante Parfümierung der Eingangshalle, es riecht als habe ein Teenager sich auf der Suche nach einem Herrenparfum nicht nur vergriffen, sondern den Fehlkauf auch noch üppigst aufgespürt. Beim Check-in atme ich nur durch den Mund, aber sonst ist das 4 Sterne Superior Hotel ein Genuss, superfreundliches Personal, eine Oase, nur einen schönen Fußweg von Altstadt und Hafen entfernt.

Und wir laufen auch direkt los, genießen die Wärme, wir gehen unter Palmen die Prachtstrasse Praça dos Restauradores hinunter, biegen irgendwann ab, die Straßen werden zu steilen, bunten Gassen, immer wieder kleine Plätze und Parks, ein Sonntagsmarkt, überall Musik. Wir steigen die berühmte Calçada da Glória hinauf, vorbei an einer Graffiti-Ausstellung, neben uns quietscht die Standseilbahn Ascensor da Glória den Berg hinauf, seit 1885 tut sie das.

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The Insólito
Oben angekommen, trinken wir im traumschönen Park Jardim de São Pedro de Alcântara frisch gepressten, eisgekühlten Orangensaft und Zitronenlimonade mit Ingwer, unter uns und vor uns öffnet sich die Stadt, ein Panoramablick der auch das Herz weit macht, wir sind bereits jetzt verliebt in die Stadt, die wir in den kommenden Tagen erkunden dürfen. Ein Hüngerchen treibt uns über die Strasse hinein und hinauf ins The Insólito, mit einem historischen Fahrstuhl, der wohl von Zwergen entworfen wurde, geht es hinauf in Restaurant mit Dachterrasse. Der Aufzug ist wirklich furchterregend historisch und winzig.

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Ist die Auffahrt geschafft, kann man zur blauen Stunde einen Cocktail trinken und über die Dächer Lissabons schauen, ein bißchen Schinken und Käse vielleicht dazu oder gegrillte Sardellenfilets auf geröstetem Rosinenbrot mit Tomatillo-Chutney. Sitzen, schweigen, genießen. Aus den Lautsprechern perlt erfreulicherweise fein abgestimmter Elekctro-Jazz, der Trip Hop der Neunziger Jahre klingt frisch und heutig, ein bißchen Funk, eine Prise cheesy Housemusicalnightlong. Doch, doch, fein, das passt! Sie können auch zum Essen kommen, dann sollten Sie reserviert haben, das Restaurant ist, gerade an den Wochenenden, extrem beliebt und wird mehrfach am Abend belegt. Das junge ungemein herzliche und engagierte Team zaubert dann eine moderne Interpretation portugiesischer Traditionsgerichte, mit asiatischen Einflüssen. Das schmeckt und es geht aber irgendwann wirklich hoch her am Abend, Wartezeiten sind da einzukalkulieren. Aber wen mag das ernsthaft stören, im Urlaub, an einem solchen Ort.

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Wir reservieren an diesem ersten Abend für den letzten Abend unserer Rundreise einen Tisch und der lieben Ordnung halber, ist dieser Abend an dieser Stelle und nicht chronologisch eingebettet. Wir genossen eine gute Weinberatung, dazu Stockfisch mit Weißweinsauce, Püree von lila Kartoffeln, Rübenchips und meiner ersten Sphären-Olive (man bleibt bei Besinnung, aber witzig). Es gab gerösteten Schweinebauch mit einer Soja-Miso-Sauce und Venusmuscheln, eine sehr gelungene Asia-Version des Portugal-Klassikers Carne de Porco à Alentejana. Dessert: da stand auf der Karte „Schokoladenmousse mit Wasabi-Nüssen“. In Wirklichkeit war das das allerbeste Schokoladencreme-Dessert dass ich je aß, obendrauf ein Nuss-Knusper der also null nach Wasabi schmeckte, aber richtig gut, mit einer entscheidenden Prise Salz geröstet, viel Cashewkernen, ich mag das, wenn einfache Rezepte zum großen Glücksfall werden.

Restaurante da Calçada
Den ersten Abend in Lissabon verbringen wir aber, nach guten Sundowner-Cocktails im The Insólito, dann in der Altstadt: grelles Licht und karierte Tischdecken im Restaurante da Calçada, mit Venusmuscheln in Wein und Koriander und einer Riesenschnitte Bacalhau à minhota (Stockfisch aus dem Ofen), dazu ein putziges Fläschchen Planalto Vinho Douro, Reserva 2015. Der Laden voll mit portugiesischen Großfamilien, es wird gefeiert und gelacht, die Lebensfreude gibt’s hier gratis dazu und im Fernsehen läuft ein Länderspiel, Portugal gegen Italien – im Rollschuh-Hockey.

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An diesem Abend im Restaurante da Calçada lerne ich im Grunde schon viel Grundsätzliches über die portugiesische Küche und die portugiesische Gastfreundschaft. Erstmal: Portugal ist ein Muschel-Land, frischer geht es nicht und man lacht hier nur aus schierer Freundlichkeit nicht über die Venusmuscheln aus den Mittelmeerländern, hier sind die Venusmuscheln riesig, fleischig, mit Biss und vornehmem Meeresgeschmack. Die Zubereitung in Wein, mit irrsinnig vielen Knoblauchzehen, Lorbeer und viel frischem Koriander schmeckt irre gut! Der duftende Sud der Amêijoas à Bulhão ist leicht gebunden mit viel Olivenöl, es ist so derartig köstlich, ich esse das Gericht auf unserer Reise ein dutzend Mal.

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Was ich auch gelernt habe: so Schnickschnack-Küche mit mehreren Gängen und kleinen Probierportionen, ist hier nicht. Lassen Sie sich nicht täuschen, auch die Vorspeisen sind immer ein Hauptgericht und die Hauptgerichte sind kaum zu bewältigen. Ich esse gerne und ich bin im Training, aber die Portugiesen haben mich geschafft. Später mehr davon. Der Abend endete jedenfalls mit Gesten der Entschuldigung, imaginäre Bäuche wurden in die Luft gezeichnet, bei gleichzeitiger pantomimischer Darstellung der eigenen, totalen Begeisterung über dieses vorzügliche Essen, mit Kusshand und allem! Chef trotzdem beleidigt. Ich glaube, wir haben da Hausverbot jetzt.

Tuk Tuk
Wir erkunden die Stadt überwiegend zu Fuß, ab und zu nehmen wir die Standseilbahn (3,60 € man muss aber immer Berg- und Talfahrt nehmen, also eigentlich immer 7,20 € p.P), finden aber schnell heraus, dass oft ein Taxi die günstigere Alternative ist. Und dann wären da noch die Tuk Tuks, es gibt unzählige der kleinen Miniroller, die für den Transport von Touristen umgebaut wurden und feste Touren durch die unterschiedlichsten Viertel bieten. Gerade die Stadtviertel die hoch auf den Hügeln liegen und sich ziehen, sind eine Entdeckungsreise mit dem offenen, luftigen Tuk Tuk wert.

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Die Dinger gibt es auch gefedert und in Luxus-Version, wir hatten Spaß mit den Original-Tuk-Tuks im Ape-Style, auf dem Jahrmarkt zahlt man Geld für so einen Schüttelspaß. Wir sind mit Rachel gefahren, haben für einen vorab vereinbarten Festpreis eine Tour gebucht durch das Alfama Viertel und rauf auf den Miradouro de Santa Luzia, mit der wohl berührend schönsten Aussicht über die Stadt. Später haben wir Tuk Tuks auch mal für Einzelfahrten genutzt, etwa zur LX Factory – Einzelfahrten starten ab 15 Euro, das ist dann nicht unbedingt immer günstiger als ein Taxi, ist aber luftiger und macht einfach Spaß.

Restaurant Aqui Há Peixe
Ich bestelle in Restaurant Aqui Há Peixe vorweg die geheimnisvolle „Kleinigkeit des Tages“. Der Kellner schüttelt den Kopf: „Nee, das mögen Sie nicht!“. Auf meine Frage um was genau es sich denn dabei handele, zuckt er die Schultern. Auf Englisch könne er es nicht sagen, dann nennt er den portugiesischen Namen des Gerichts und betont nochmals, dass ich doch lieber eine andere Vorspeise aussuchen soll. Ich verstehe irgendwas mit Sardine und bestehe auf die Kleinigkeit des Tages: „Das wird ja jetzt nicht gerade Sardinen-Rogen sein“, scherze ich noch.

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Schmeckte dann aber, mit den feinen Zwiebelchen, dem guten Olivenöl und vor allem dem gekühlten, trockenen weißen Portwein doch sehr gut. Ich schwöre. Klauen werde ich das Tintenfischgericht: gerillt und streifig geschnitten werden die butterzarten Tuben hier auf einer klassischen französischen Beurre Blanc serviert, die hier mit einem spritzig grünen Vinho Verde zubereitet wird. Dazu gibt es Speck-Reis, Reis mit ausgelassenen Speckwürfelchen. Butter, Speck, butterzarter Tintenfisch, ein Lob dem Fett, große Klasse! Das Restaurant Aqui Há Peixe ist ein Klassiker, steht in vielen Reiseführern, hier gibt es Fisch, Krusten und Schalentiere in Hochform, einfach aber auf den Punkt, Spezialität sind große Fische, die im Ganzen ausgelöst,entgrätet und dann wie ein Schmetterling aufgeklappt, gegrillt werden. Auch hier sind die Portionen riesig, gute Weinauswahl.

Fisch in Dosen

Eine protugiesische Spezialität sind Sardinen (Sardinha) und Bacalhau in der Dose, in feinem Olivenöl eingelegt, in Chiliöl, in geräuchertem Öl, oder in verschiedensten Tunken, Würzungen und Saucen. Hier finden sich auch Sardines millésimées – Jahrgangs-Sardinen, die in den Dosen reifen durften. Beste Produkte und sorgfältiges Handwerk machen den Dosenfisch zur Delikatesse, zudem sind die Dosen oft wunderschön gestaltet.

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Im Loja das Conservas geriet ich denn auch prompt in einen kleinen Kaufrausch, sehr zur Freude der Angestellten, die dort kompetent und auf Englisch beraten. 300 Sorten Dosensardinen, Tintenfisch, Muscheln und Bacalhua aus ganz Portugal finden sich im einzigartigen Laden.

Boi Cavalo

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Ein besonderer Höhepunkt unserer Tage in Lissabon war der Besuch des Boi Cavalho, hier entwickelt ein junges engagiertes Team so etwas wie die Zukunft der portugiesischen Küche, kreativ, reduziert, dabei maximal in Geschmack, Würzung und Komplexität. Das Restaurant ist aufgeräumt, nichts ist zu viel. Musik spielt eine wesentliche Rolle, sie wird nicht nebenher sondern in deutlicher Zimmerlautsstärke gespielt und gehört. Das Programm richtet sich nach der Laune der Küchenmannschaft, ich habe nachgefragt, es laufen u.a. The Clash, Iggy Pop, Johnny Cash, Blur und die Beatles. Wir erwischten einen Creedence Clearwater Revival-Gedächtnisabend, ich fands lustig. Die Weinauswahl ist groß im Boi Cavalo und handverlesen, die Sommelière berät und erklärt alles sehr gut, auch auf englisch.Es gibt nur ein Menü, es kostet 28 Euro pro Person und dafür gibt es, festhalten jetzt mal:

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Als Amuse Geule Rogencreme mit geröstetem Blumenkohl, kräftig, intensiv, das Meer und das Land, top! Erster Gang ist Makrele gerade so gar gezogen, eigentlich nur warm, auf einer dichten, leicht scharfen Paprikasauce, Peetersilienöl und einem Klecks Campari-Gelee das Bitterkeit mit rein bringt in die cremige Sache.

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Es folgt die radikale Neuinterpretation der Dobrada, einem rustikalen, portugiesischen Bohneneintopf mit Kutteln und Wurst – Im Boi Cavalo wird daraus ein „Eintopf“ mit dicken Bohnen, Oktopus, Reis, Chorizo und Pflaumensauce, getoppt mit frittierten Kuttelstreifen und Koriandersprossen.Man muss das Original garnicht kennnen um hier auf die Knie zu gehen, grandios.

Der nächste Gang eine Art runder Brotpudding, Zitat einer weiteren portugiesischen Küchenklassiker „Migas“ (migas à alentejana), von dem im zweiten Teil, der Reise ins Alentejo, noch die Rede sein wird. Hier bindet die luftige Semmelmasse gezupfte Kaninchenfleisch, begleitet von erdigem Weizen-Porrige, cremiger Feige und einem Kopfsalat-Sud. Sauer, süß, salzig, erdig und leicht.

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Die Weinauswahl ist handverlesen, die Sommelière berät und erklärt alles sehr gut, auf englisch.

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Bei soviel Genialität, darf der Hauptgang auch mal so mittel sein, das gereifte Kalb war perfekt gegart, die Scheiben dann leider nochmal gegrillt, das auch zu stark. Das Ragout von Kichererebsen und Venusmuscheln dazu, war wieder sehr fein. Nochmal eine gelungene und überraschend gute Kombination beim Dessert: grüne Erbsen-Eiscreme mit weißer Schokoladensauce und klassischem Financier-Gebäck, so machen sogar mir Desserts Spaß.

Und sonst noch so?

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Ich habe natürlich auch Entenmuscheln verkostet, Percebes, und mich früher immer geärgert, wenn Leute die Frage nach dem Geschmack mit: „Nach Meer.“ beantworteten. Ich war also gespannt. Tja, und was soll ich sagen, sie schmecken tatsächlich nach Meer, nach einem kühlen, frischen, sauberen Meer, leicht salzig. Nicht wirklich hübsch, wenn der kleine weiße Muskel (hoffen wir das es ein Muskel ist!) erstmal aus der Schale gedreht ist, aber von feinem Biss.

Und ich habe angefangen Pastel de Nata zu mögen, diese kleinen Blätterteigdinger mit Puddingfüllung, die schmecken bei uns immer leicht zäh und kalt und tragen keine Liebe in sich. In Lissabon ist das anders, da werden die Puddingteilchen ofenwarm und zartknusprig splitternd serviert, sogar der Pudding ist noch warm und dann macht die Bäckereifachverkäuferin noch Zimt drauf, auf Wunsch, sensationell. Die Besten gibt es übrigens direkt beim Hotel, in der Pastelaria Balcão do Marquês! Außerdem halte ich den neuen Weltrekord im Käsesandwichtoast essen. Das war aber auch einfach hier.

Von Lissabon aus sind wir dann für ein paar Tage mit dem Leihwagen in Alentejo gefahren, raus aufs Land, an die wilde Küste, dann weiter, an die Algarve …

Die ganze Tour, alle Links:

1. Lissabon

2. Alentejo

3. Algarve, Lagos, Arrifana

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