Apfelschnitze und geliertes Wasser – beim „Jäger und Sammler“ – Cooktank im Nobelhart & Schmutzig

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Gruppenfoto erstmal. Bitte recht freundlich! Da standen sie, vor der Tür des Nobelhart & Schmutzig in Berlin, eine Gruppe junger Köche, Vertreter einer neuen Generation die sich einer neu gedachten Regionalität verschrieben haben, geeint vor allem aber durch: Relevanz. Das kulinarische Online-Magazin Sternefresser hatten einige der innovativsten Köche des Landes zum Cook Tank gebeten, einem kulinarischen Think Tank zum Status Quo und den zukünftigen Möglichkeiten und Ideen einer neuen Naturküche, einer neuen Art zu Kochen, Produkte zu begreifen und anders zu verarbeiten.

Wenige Journalisten und Genussblogger hatten das Glück dabei zu sein, an diesem Tag, die Gästeliste imposant, Motto und Aufgabe: Jäger und Sammler. In der Reihenfolge ihrer Auftritte: Dylan Watson-Brawn (Ernst, Berlin), Stefan Franzke (Essigbrätlein, Nürnberg), Sebastian Frank (Horváth, Berlin), Wenzel Pankratz (Forsthaus Strelitz, Neustrelitz), Micha Schäfer (Nobelhart & Schmutzig, Berlin), Felix Schneider (Sosein, Heroldsberg), Andreas Rieger (einsunternull, Berlin). Nach einer Begrüßung durch die Gastgeber Billy Wagner (Nobelhart & Schmutzig) und Sternefresser Christian Stromann ging es los. Das Nobelhart & Schmutzig begrüßte die Gäste mit einer famosen Knabberei, kleine Bundmöhrchen, bestrichen mit fetter Sahne, subtil aromatisiert mit Kamille-Öl.

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Und dann gabs erst mal ein paar Apfelschnitzen. Tatsächlich, Apfelschnitze. Da gab es nichts und dann doch so einiges zu diskutieren: Dylan Watson-Brawn & Spencer Christensen und Sommelier Christoph Geyler, deren Restaurant Ernst in Vorbereitung ist, servierten Apfelschnitze an Herbstlaub. Drei unterschiedliche regionale Apfelsorten, frisch aufgeschnitten und mit Salz serviert, eine weiterer Apfelspalt war mit zwei Jahre eingesalzenen Kirschblättern eingelegt worden und hatte dabei einen intensiv fleischiges Aroma gewonnen, that’s it. Und das schöne, bunte Herbstlaub? „Ich hatte das Gefühl, es ist sonst zu wenig auf dem Teller.“, Dylan Watson-Bran lacht uns wirklich an und nicht aus, sein Teller stellt nicht weniger als die entscheidende Frage: wie viel Kochen braucht es eigentlich, wenn das Produkt von überwältigender Qualität ist. Ein sehr japanischer Gedanke, in der japanischen Küchenphilosophie gibt es den zentralen Satz: „Kochen ist Schneiden.“ verbunden mit dem höchsten Respekt vor Produkt und Produzent, Kochen beginnt auch bei uns auf dem Feld, im Wald, auf dem Meer. Über Dylan, der lange in Japan gearbeitet hat, gibt es einen sehr lesenswerte Artikel im Effilee-Magazin, der freundlicherweise online zugänglich ist und hilft, die Apfelschnitze noch besser einordnen zu können.

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Stefan Franzke, Souschef des Essigbrätlein in Nürnberg, begleitet von Adrian Kuhlemann brachte „Steckrübe mit Lindenlaub“ auf den Teller: Steckrübe, gebacken, gereift und geflämmt mit Minzmolke und roh gehobelten Pilzen, so schmeckt Herbst. Eine geschmackliche Sensation: kleine, hocharomatische Tupfen einer tiefen dunklen Creme. Steckrüber, für 15 Stunden bei knackigen 150 Grad im Ofen gegart und dann über Monate kontrolliert gereift. Fantastisch! Die Gemüseküche des Essigbrätlein war, ist und bleibt richtungsweisend, mit komplexen, durchdachten Gerichten, die dem Gast wie eine mühelos leichte Fingerübung von perfekter, aromatischer Harmonie vorkommen. dahinter stecken aber regionale Produkte in Bestform, herausragende Handwerkskunst und eine innovative Denke, die sich nicht zufrieden gibt, mit dem was ist und geht.

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Sebastian Frank aus dem Horváth ist auch so ein Tüftler, begleitet von Leo Kratzert serviert er eine fordernde Unmöglichkeit: Fasan, zwei Wochen in der Kühlung gereift, luftdicht unter Nierenfett, und jetzt auf dem Teller: roh. Also fast. Der hauchdünne Brat-Rand zugunsten einer rauchigen Note, vermag es nicht zu verbergen, der Fasan ist roh. Der Salmonellen-Phobiker in mir sträubt sich, aber nur kurz, die Neugier überwiegt und wird belohnt mit einem zarten, würzigen Fleisch von marzipanigem Biss, es erinnert in der Konsistenz und Farbe stark an Thunfisch, der Geschmack ist rein und pur und intensiv (ohne das befürchtete Haut Gôut). Wau. Begleitet wird der Fasan von Erdmandeln, Sardelle, Kürbiskernöl und weißer Schokolade eine Aromen-Spiegelung des Fleisches, das Umami der Sardelle, das fettig-nussige des Öls und der Schokolade, genial.

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Dazu ein „Side-Dish“ von Kürbis, Topinambur und Kohlgemüse, der anderswo eine Hauptattraktion wäre, wenn das denn jemand so hinbekäme. Auch hier, zumindest für mich, eine absolute Neuheit: Sellerie aus dem Salzmantel. Alter Hut, ja. Aber nicht, wenn man die Sellerieknolle danach im Salzteig ein Jahr lang reifen lässt. Dabei wird Wasser entzogen, die Knolle im Salzteig muss immer wieder gewendet werden, feuchte Stelle nach oben. Wer nach acht Monaten den Salzteig öffnet, findet eine Knolle, die es damals als Schinken vom Sellerie auf die Karte des Restaurants schaffte. Frank ahnte, da geht noch mehr. Jetzt, nach über einem Jahr, sieht die Knolle aus wie ein Trüffel, hart getrocknet und über die Gemüsevariation geraspelt wie Trüffel, Katsuboshi oder Bottarga, entfaltet die Runzelige ein sensationelles Aroma, das an Walnüsse erinnert. Ich bin besessen von dem Gedanken, das zuhause auszuprobieren.

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Wenzel und Hubertus Pankratz vom Forsthaus Strelitz sind freie Männer, die kochen was ihnen schmeckt, ohne jeden Druck und aus eigenem Anbau: sagenhafte 98 % aller in der Küche des Forsthauses verwendeter Produkte sind aus eigenem Anbau, aus eigener Zucht, aus eigener Herstellung: „Manchmal kauf ich eine Handvoll Rosenkohl dazu, wenn ich Lust auf Rosenkohl habe, da bin ich ehrlich.“, sagt der Hüne Wenzel Pankratz und das ist kein Witz. Geständnisse aus dem Paradies. Mitgebracht haben er und sein Vater Hubertus ein paar Lammhoden, auch Strelitzer Jakobsmuscheln genannt und tatsächlich erinnern die erstaunlich großen Lappen in Konsistenz und Aroma an die Coquilles. Sie wurden nur ganz leicht unter dem Salamander warm gezogen und auf dem Teller kombiniert mit einem Petersilienpüree, frischer Petersilie, Walnüssen, Rauchöl und „den letzten Trauben, die wachsen da bei uns über dem Eingang“, kleine dunkelblaue, aromatische Trauben, die Frucht und natürliche Süße ins Spiel bringen. Ich muss da hin, ins Forsthaus.

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Gastgeber Micha Schäfer vom Nobelhart & Schmutzig zeigt an diesem Vormittag genau jenen Produktpurismus, den das Restaurant ausmacht und auszeichnet und er erinnert mit seinem Teller daran, das herausragende Grundprodukte nur noch den umsichtigen, fachlich versierten Umgang brauchen, um zum Wohle des Gastes zum kulinarischen Paukenschlag zu werden. Bedeutet in diesem Fall konkret: zwei perfekt gebratene Stücke Entenbrust vom Prignitzer Landhof, einmal eine Woche, einmal zwei Wochen gereift, an einem Klecks von dicklich eingekochtem Rote Bete-Saft, der dadurch zur Jus wurde, süß, sauer, umami, genial. Dazu eine dickere Scheibe Rote Bete mit Salz, das Überraschende ist neben dem Aroma, die Konsistenz, die an einen knackigen, saftige Apfel erinnert und das macht sie, ich habe nachgefragt, von ganz alleine. Nur finden muss man sie selbst, diese unfassbar gute Rote Bete.

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Felix Schneider und Souschef Thomas Prosiegel vom Sosein in Heroldsberg bei Nürnberg sind jetzt am Start und präsentieren einen Kracher von der aktuellen Karte: „Pilze, Brühe und Douglasie“ heißt das Gericht, dass ich schon ein paar Wochen zuvor genießen durfte, damals ging es sogar mit den Köchen in die Pilze, hier der Beitrag von damals. Jetzt in Berlin bin ich einfach mal ganz egoistisch froh gestimmt, dass ich dieses Gericht noch einmal werde kosten können.

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Thema: Geschmack. Sehr viel Geschmack. Tiefer Geschmack. Pilze pur mit einer Pilzbrühe, die nochmals über getrockneten Pilzen aufgegossen wird, ein Beef-Tea der Natur, eine komplexe Pilz-Bouillon, serviert mit acht unterschiedlichen, gebratenen Pilzen, jeder für sich schmeckt eigen und anders, ist von eigener Konsistenz, zusammengehalten von dieser sagenhaften Brühe. Dritte Komponente und nicht zuviel: der Wald kommt in Form eines Douglasie-Tannen-Öls, ganz subtil. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und das ist er: mein „Teller des Jahres“ 2016.

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Aus den Fränkischen Wäldern geht es, zumindest geschmacklich, mit einer Zugabe von Felix und Thomas, direkt in die Südsee, mit Topinambur. Auf cremigem Eis roh gehobelter und saftiger Topinambur, getoppt von fein geriebenem und frittiertem Topinambur, der an Kokosnuss erinnert. Und jetzt passiert es: im Mund schmeckt das ganze wie eine kühle Kokosmakrone. Ein so großartiger wie köstlicher Spaß. Ich hake nochmal nach, denn mein Topinambur ist roh gehobelt oft nicht so wirklich saftig. Thomas Prosiegel zuckt die Schultern: „Ha jo. Des is halt unser Topinmabur.“ Aus dem eigenen Garten.

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Andreas Rieger vom Restaurant einsunternull und begleitet von Benjamin Klee, beschließt den Tag mit einem Dessert aus: geliertem Wasser. Quellwasser aus dem Schwarzwald. Agar-Agar. Sonst nichts. Ein klarer Ball aus Quellwasser. Ausgangspunkt für eines der spannendsten Desserts seit langem. Grundidee war die Herstellung eines Mizu Shingen Mochi, eines ursprünglich japanischen Desserts das es unter dem Namen Rainbow Cake zu einiger Berühmtheit brachte, insbesondere unter Menschen die Essen sonst grundsätzlich eher vermeiden (null Kalorien, komplett vegan!). Das ist ein Andreas Rieger und seinem Begleiter Benjamin Klee nicht zu unterstellen, sie nahmen den modischen Rainbow Cake zum Anlass, neu nachzudenken, über Geschmack, Konsistenz und Präsentation. Ihr Mizu Shingen Mochi besteht aus reinem Quellwasser und einer Spur von Agar-Agar, hochfragil im tiefen Teller serviert, jetzt mit einem Holundersaft/Holunderlikör übergossen. Auf Holunderholz liegt ein feines Pulver von Holunderkernen, das nun mit einem kleinen Reisigbesen (der Stiel ist ein Holunderzweig) über die Kugel gestäubt wird. Eine vollendete, bis ins Detail durchdachte Präsentation japanischer Tradition. Im Mund passiert dann großartiges, die Kühle (4 Grad) des Quellwasser löst sich im Mund auf, mischt sich, mit jedem Löffel anders konzentriert (!), mit dem Holunder, der Holunderkernstaub steuert eine mehlige Komponenten bei, die wieder näher an das ursprüngliche Klebreis- Mochi führt.

Natürlich entspinnt sich daraufhin eine rege Diskusssion, ob denn geliertes Wasser als Dessert in einem Fine Dining Konzept wirklich vertretbar wäre (natürlich, denn es ist viel mehr als das!), ob Apfelschnitze ein Gericht sein können und ob dem Gast roher Fasan zuzumuten sei, oder warm gezogener Lammhoden verkäuflich. Fragen, die sich jedem, der an diesem Tag dabei war, erübrigen würden, Fragen die dennoch ihre Berechtigung haben und von da aus ging es direkt in die Hölle von Tripadvisor und Restaurantkritik. Mir erschließen sich dabei zwei Dinge nicht: wie nur, geraten Tripadvisor-Nutzer eigentlich in solche Restaurants? Und: warum lesen Köche Tripadvisor-Beiträge? (In denen immer das gleiche steht: „wurde nicht genügend umpuschelt und sauteuer wars auch und ich wurde garnicht satt!“ Tripadvisor hat keinerlei Relevanz für denkende Kulinariker. Von dieser Diskussion zogen die Diskutanten weiter, ein schönes, altes Lied von Jupp Schmitz pfeifend: „…wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?“ Denn Geld verdient, ist wirklich nur hart und wenig, wenn man auf diesem Niveau kocht, ohne Hotel oder Geldgeber im Rücken – und es zudem noch wie u.a. Billy Wagner und Micha Schäfer hält, die ihren Produzenten gerne einen gewissen finanziellen Unterhalt und Anreiz anbieten wollen, um nachhaltig, hier und da vielleicht auch exklusiv, in jedem Fall im Sinne des Nobelhart& Schmutzig zu produzieren, zu sammeln, zu pflanzen, zu züchten. Vor dem Ausbruch des totalen, kulinarischen Kulturpessimismus rettetet die Versammlung die exzellent ausgesuchten Weine von Sommelier Johannes Schellhorn, im Bild eine Auswahl, die ich probierte.

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Weitere Höhepunkte waren der Vortrag von Prof. Dr. Thomas A. Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung, der Erhellendes zum Thema Fermentation erläutertet, sowie eine Ike-Jime Demonstration durch Dylan Watson-Brawn und Spencer Christensen. Die japanische Kunst einen Fisch zu töten gelingt nur in absoluter Ruhe und Entspanntheit. Der Fisch (schwimmend geliefert von den Müritz-Fischern) wird auf Schaumstoff gebettet und durch einen gezielten Stich in den Kopf sofort getötet. Dann, sehr schnell, ein Schnitt in den Nacken und durch die Wirbelsäule, ein japanischer Klavierdraht wird durch das Rückenmark des Fisches geschoben. Der Effekt: die Informationszufuhr zwischen Gehirn, Herz und Muskeln ist ausgeschaltet, das Herz weiß nicht, dass der Fisch tot ist, und schlägt weiter, pumpt Blut durch den Nackenschnitt, dabei blutet der Fisch in Eiswasser schnell komplett aus. Die Vorteile: kein Blut drinkt ins Fischfleisch, das mit der Ike-Jime Methode festfelischiger und länger haltbar wird, sogar begrenzt reifen kann.

Ein grandioser, lehrreicher und inspirierender Tag und es bleibt mir nur mich herzlichst zu bedanken, bei allen Köchen, den Gastgebern und Kollegen, für diesen großen Tag, die besonderen Genüsse, die Diskussionen und Denkanstöße. Danke den Sternefressern Christian Stromann und Daniela Heykes (Room426), dem Nobelhart & Schmutzig-Team mit Billy Wagner und Micha Schäfer und allen, die diesen Tag für alle auf die Schiene brachten.

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