Skrei angeln auf den Lofoten (2): Skrei „vom Maul bis zur Schwanzflosse“ – das Handwerk, die Industrie, die Köche

Berauscht von Naturgewalt und Anglerglück (siehe dazu Teil 1) legen wir gegen Mittag am Kai eines, von insgesamt 49 Skrei-zertifizierten Fischverarbeitungsbetrieben, an – und damit auch in der Realität der industriellen Verarbeitung und Vermarktung des Skreis. Unser bescheidener Fang verhält sich nämlich dazu, wie eine Schneeflocke im Winterhimmel, eben wird die Fracht eines Trawlers gelöscht, rund 20 Tonnen Skrei an Bord, der verarbeitet werden will, jetzt. Skrei ist (neben dem Tourismus) Hauptwirtschaftsfaktor in der Region, die Sasion ist kurz (Januar bis Ende April) und arbeitsreich.

In den Fischgründen wimmelt es von Skrei, es ist ein sehr gutes Jahr, dennoch greifen die Fangquoten und die Mehrheit der Fischereibetriebe in Norwegen ist zudem mit dem MSC-Siegel, der höchsten Zertifizierung für nachhaltigen Fischfang durch das Marine Stewardship Council ausgezeichnet. Das gilt auch für den Skrei, der als norwegischer Winterkabeljau zum nachhaltigsten Bestand der Welt gehört, erklärt das Norwegian Seafood Council.

Wesentlich entscheidender und während unserer gesamten Reise spürbar: die Norweger lieben „ihren“ Skrei, leben mit dem Fisch, wissen um die Abhängigkeiten des Menschen vom Fisch, der sorgsame Umgang mit dem Bestand und den Ressourcen ist darum eine Selbstverständlichkeit, die darin mündet, dass der Skrei restlos verarbeitet wird, vom Maul bis zum Schwanz, nichts kommt weg, nichts wird verschwendet.

Eine, die den Skrei liebt, ist die Norwegische Köchin Siv Hilde Lillehaug, die gemeinsam mit ihrem Mann das kleine Restaurant Lofotmat in Henningsvaer betreibt. Am Vorabend dürfen wir ihre berühmte Fischsuppe kosten, leicht und dennoch cremig, tiefwürzig, mit einem Hauch Säure vom guten Weißwein, Juliennegemüse und dazu das, zu zarten Lamellen zerfallene, Fleisch vom Skrei. Zuvor wird geräucherter Skrei Roggen serviert, auf essbaren, knusprig gebackenen „Löffeln“ mit Sauerrahm und rohen Zwiebeln.

Es folgen Skrei-Zungen in knuspriger Panade, auf fein-süßem Erbsenpüree, schließlich Skreifilet in einem würzigen Sud mit Kapern, samtzarten Muscheln, dazu unglaublich gute Kartoffeln aus der Region.

Nach dem Dessert dürfen wir in die Küche schauen, wir wollen mehr wissen über die Skrei-Zungen, Siv zeigt uns, wie die Zungen Vor- und Zubereitet werden und von Ihr erfahren wir erstmals auch von der Kinderarbeit in norwegischen Fischfabriken! Wir sind entsetzt, doch Siv lacht. Das ist sehr lukrativ. Für die Kinder.

In der großen Haupthalle der Fischfabrik sind dann anderntags enttäuschender Weise gar keine Kinder zu sehen, später würden wir der Sache noch auf den Grund gehen können, hier stehen erstmal ein paar deutlich dem Kindesalter entwachsene Fachkräfte zwischen Tonnen von Fisch, trennen im Akkord die Köpfe von den Fischen, öffnen geübt die Leiber, entnehmen und sortieren die Innereien, immer neue Ladungen fisch drängen von draußen hinein in die Fabrik, es ist ein Knochenjob, viele hier sind Saisonarbeiter, Norweger die hier leben, vom Postboten bis zum Lehrer, alle packen hier während der Saison mit an, dazu kommen Lohnarbeiter die temporär angestellt sind und die Festangestellten ebenfalls unterstützen.

Es wird sortiert, die feine Leber und der köstliche Roggen, später geräuchert eine Delikatesse, von den übrigen Innereien separiert, die zu Fischfutter weiter verarbeitet werden. Die Fische werden einzeln geprüft, Fische für die Stockfischproduktion ausgewählt. Selbst die Köpfe finden Verwendungen und werden, ähnlich wie der Stockfisch, in freier Natur auf Gestellen getrocknet (wegen der Geruchsentwicklung etwas außerhalb der Ortschaften) und dann getrocknet nach Afrika geliefert, wo die Köpfe als „Brühwürfel“ extrem beliebt und gefragt sind. Die Köpfe werden dort dann dreimal gekocht bis nur noch Knochen vorhanden sind, dabei entstehen kräftige Fischsaucen und Umami-starke Brühen.

Später am Tag führt uns Alf Kenneth durch Henningvaer, der ehemalige Fischfabrikant hat seine Fabrik verkauft und arbeitet heute für die Stadt, ist in der Politik und ein ausgezeichneter Fremdenführer. Er führt uns zu Trocknungsgestellen, die direkt am Rand der Ortschaft stehen, hier wird gerade der frische Fisch von Arbeitern auf die Gestänge gehängt, immer zwei ähnlich große und beschaffene Fische sind am Schwanz mit einer Kordel zusammen geschnürt. Ein Himmel voller Skrei.

Da hängen sie nun, bis Ende Juni, im tatsächlich gemäßigten Klima der Lofoten, in freier Natur: „Es ist wichtig das es nicht zu warm ist und nicht zu kalt, nicht zu regnerisch oder zu sonnig – das macht guten Stockfisch.“ Der ist tatsächlich ausschließlich getrocknet und nicht wie sein portugiesisch-spanischer Kollege, der zusätzlich noch gesalzen ist. Die Stockfisch-Ernte des vergangenen Jahres ist restlos verkauf und es bleiben mir nur ein paar Stockfisch-Snacks aus dem Hotel („bitte nicht im Flugzeug aufmachen!“ mahnte der Rezeptionist) – ich nehme mir vor, im Juli wieder hier sein, wenn die Fische von den Trockengestellen geholt werden.

An unserem letzten Abend wird mit Skrei gekocht, allerdings schwingen nicht wir selbst den Kochlöffel sondern der ehemalige Sternekoch Benjamin Pfeifer (vormals Urgestein in Neustadt an der Weinstraße), der in Kürze in der Pfalz sein erstes eigenes Restaurant eröffnen wird, das inten.se. Zu zweit verarbeiten Benjamin und Maximilian unseren „Catch oft he Day“ zu einem Menü.

Wir sind in Solvaer und dürfen uns, während Benjamin und Maximilian das Menü finalisieren, einen weiteren Fischverarbeitungsbetrieb ansehen, dort, so hören wir, sollen wirklich Kinder arbeiten, Mädchen! Und tatsächlich – man versucht garnicht erst irgendwas zu vertuschen – da stehen drei Mädchen im zarten Alter von um die 13 Jahre, in wetterfestem Ölzeug und mit Kopftüchern, neben einem Container in den von einem Fließband über den Köpfen der Kinder unablässig Fischköpfe platschen.

Ohne zu zögern greifen sich die Mädchen die Köpfe und rammen sie auf eine Art Docht, schneiden mit einem einzigen langen Schnitt das Kinn der Fische auf und ab, das am Docht verbleibt, der Fischkopf geht in einen weitere Container. Die Mädchen schneiden die beliebten Skrei-Zungen (eigentlich tatsächlich eher das Kinn). Sie machen das freiwillig. Der Job ist äußerst lukrativ. Die Saison ist gerade mal ein paar Wochen alt und die fleißigste von ihnen hat bereits Skrei-Zungen für umgerechnet 6.000 Euro geschnitten. Ein Laptop will gekauft sein, der “Rest“ wird gespart, erklären die Mädchen mit großem Ernst und erzählen, dass das Zungenschneiden nur Mädchen machen. Und warum nicht die Jungs? „Mein Bruder ist lieber Zuhause, Computer spielen.“ , erklärt eines jener Mädchen, denen später mal die Welt gehören wird.

Die Jungs tischen groß auf. Nachdem unsere Gastgeber uns bereits mit direkt aus dem frischen Rogen gelöffeltem, geräuchertem Skrei-Rogen verwöhnt haben. Es gibt: Emulsion von gegrilltem Gemüse mit asiatischem Sauerkohl, Hummertatar, verbrannter Kohl und hauchdünnes Knäckebrot als feine Vorspeise.

Es folgt „Kabeljau Kinn von den Kindern“ mit roh mariniertem Rote Bete-Fenchel-Salat, Schmorzwiebel-Aquavit-Schaum mit rotem Port.

Sensationell der Hauptgang! Perfekt gegarter Skrei, ganz pur, in einem Sud aus Kartoffelschalen mit Butter, dazu Kartoffelstampf und „Kohl aus dem Ofen“. Dafür wird der Kohl im Ganzen bei kräftigen 250 Grad ganze drei Stunden gegart – heraus kommt ein kohlrabenschwarzer Kohl, doch schon nach ein-zwei Schichten zeigt sich elfenbeinfarbener Kohl, der in Spalten geschnitten, mit etwas Zitrone und Salz unfassbar intensiv und anders schmeckt. Der Abend und unsere Reise endet mit Aquavit, wir stoßen an auf unsere abenteuerliche Entdeckerreise zum Skrei und ich weiß für mich, ich komme wieder, im Juli, zur Stockfischernte.

Im ersten Teil der Miniserie ist zu lesen, wie wir zum Skrei-Fischen aufs Meer fuhren:

Skrei angeln auf den Lofoten (1): wie man einen richtig guten Skrei fängt

Foto: Mel Buml

Offenlegung: ich danke dem NSC (Norge, fischausnorwegen.de) für die Einladung und Organisation der Reise, die herzliche Gastfreundschaft vor Ort.

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