"oans, zwoa, gsuffa!"- Kleine Weißbier-Gebrauchsanleitung für lernfähige Nordlichter

Kein Witz: treffen sich ein Bayer und ein Nordlicht am Weißwurstäquator. Beide halten in der einen Hand ein Weizenglas, in der anderen Hand eine auf 7-10 Grad gekühlte Flasche Weißbier. Die Kronkorken werden gelüpft, das obergärige Bier eingeschenkt. Und während im Süden schon getrunken wird, wird im Norden noch der Fußboden gewischt.

Weißbier oder Weizenbier (zwei Bezeichnungen für ein und dieselbe Erfrischung) perlt nämlich derartig, dass sich, zumindest für das gefilterte Kristallweizen, auch die Bezeichnung Champagnerweizen durchsetzte. Diese Bezeichnung ist mittlerweile verboten, denn die EU-Herkunftsbezeichnung Champagner ist für Französischen Schaumwein geschützt. Doch auch der undurchsichtige Bruder des Kristallweizens, das ungefilterte Hefeweizen entwickelt mitunter überschäumende Aktivitäten. Schuld ist die Hefe, die, genau wie beim Champagner, durch Gärung für verschärfte Perlung und beim ungeübten Nordlicht für Panik beim Einschenken sorgt. Dabei ist es eigentlich ganz einfach:

Weizenbier richtig einschenken

Ein Weizenbierglas mit schlankem, schwerem Fuß und einer nach oben bauchig auslaufenden Tulpe sorgt für feinste, lang anhaltende Perlung. Das Glas kurz mit kaltem Wasser ausspülen, um die explosionsartige Schaumbildung etwas zu kontrollieren. So, rein jetzt. Langsames Eingießen ist für Weicheier. Echte Männer bringen Glas und Flasche in Schräglage, blitzartig wird der Flaschenhals bis fast zum Glasboden eingeführt und dann, ins Bier getaucht, in fließender Bewegung, dem steigenden Bierpegel folgend, an der Glaswand wieder hoch gezogen. Den Rest erledigt das Bier alleine. Neueinsteigern sei das Bereitlegen von Wischlappen trotzdem empfohlen, denn auch hier macht Übung den Meister.

Die Artenvielfalt beim Thema Weißbier

ist überwältigend, ich bevorzuge die Weizenbiere der Firma Erdinger, die Klassiker bestechen durch komplexe Geschmacksvielfalt und herrliche Frische. Ablehnen muss ich Weißbier der Marke Schöfferhofer. Daran ist die Werbung schuld. Jahrelang wurde ich vor jeder Harald Schmidt-Show von einem Kerl belästigt, der noch mit Modelautos spielt, leere Bierflaschen an französische Geliebte verschickt und Frauen beim Vorspiel den Bauchnabel mit Weizenbier füllt. Das prangere ich an! Ob man nun aber das klare, feine, goldhelle Kristallweizen bevorzugt oder das würzig-malzige, helle oder dunkle Hefeweizen,  beide Sorten schmecken am besten frisch aus der Flasche. Merke: Fassbier schmeckt immer schlechter als Flaschenbier. Ganz und gar verachtenswert ist die Darreichungsform, die ich neulich in einer funky Szene-Bar in Hamburg Altona erleben musste. Da kam das Weizen aus dem Zapfhahn und hatte auf seinem Weg durch die Schläuche, die Keller und Gastraum verbinden, jegliche Perlung verloren, es schmeckte nach Regentonne. Schlimmer wird’s nicht, dachte ich, bis die Bedienung meiner Begleiterin ein Glas Prosecco vom Nachbarhahn zapfte. Schlechte Gastronomen haben noch jedes Kaltgetränk ruiniert. Weizenbier am liebsten durch die Zugabe einer Zitronenscheibe, ein Brauch aus einer Zeit, in der übergorenes Bier durch Zitrusbeigabe wieder verkäuflich gemacht werden sollte. Damals wie heute zerschlägt die Zitrone Geschmack und Perlung gleichermaßen. Raus damit

Weißbier-No gos!

Für die ganz dunkle Seite der Weißbier-Kultur stehen die Bemühungen von Gastwirten und Verbrauchern, ihr Weizen kreativ-kulinarisch aufzupäppeln. Einige dieser unschönen Experimente haben sich in beklagenswerter Weise durchgesetzt und ich fühle mich verpflichtet zu warnen: Vor dem „Russ“ etwa, einem Weizenbier mit Zitronenlimonade, das sich bei Liegeradfahrern größter Beliebtheit erfreut. Gänzlich unerklärlich ist mir das Bananen-Weizen, der Name ist Programm, hier sollte die bayerische Regierung mit aller Härte durchgreifen! Trüber Höhepunkt der zahlreichen Weißbierverunstaltungen ist mit Sicherheit das Schneeball-Weizen. Hier zerstört eine Kugel Vanilleeis die Kunst des Braumeisters. Auch nicht schön ist die freiwillige Vermählung von Cola und Weißbier, im politisch unkorrekten Volksmund Neger- oder Mohren-Weizen genannt. Aber wer so was trinkt, bei dem ist sowieso Hopfen und Malz verloren. Ich stamme selbst aus Süddeutschland, glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich breche.

Immer noch stehen der Bayer und das Nordlicht am Weißwurstäquator, um völkerverbindend einen zu heben. Das Bier ist endlich in beide Gläser eingeschenkt, die Schaumkronen blühen majestätisch in strahlendem Weiß, „Wohlsein!“, ruft das Nordlicht vorfreudig. Der Bayer schüttelt den Kopf. Zu Recht, denn auch der Verzehr des flüssigen Brotes bedarf einer strengen Zeremonie. Erste Regel: „Frauen und Weizenbier immer unten anstoßen.“ Der sexistischen Belehrung folgt der herzhafte Zusammenstoß der dicken Glasböden, dann, ganz wichtig, wird der Kelch theatral zur Brust geführt und sogleich noch mal donnernd auf die Tischplatte gehauen. Fragen Sie nicht. Jetzt darf getrunken werden! „Wie soll ich mir denn das alles merken!“, nörgelt das Nordlicht. „Ganz einfach“ erklärt der Bayer, „oas, zwoa, gsuffa!“

Das Craftbeer-Kochbuch

ebenso erhellend aber einen Tick ernsthafter, beschäftigt sich das Craftbeer-Kochbuch mit den handwerklich gebrauten Bieren dieser Welt! Eine wahre Liebeserklärung an die neue und geschmacksintensive Braukultur und zeigt, was und wie man mit und zu Bier kochen kann. Die Rezepte dazu habe ich entwickelt – allesamt weit abseits von der deftigen Tristesse, die das Genre Bierküche bislang auszeichnet. Ergänzt werden die Rezepte durch ein gutes Dutzend Porträts von Torsten Goffin über Brauer und Brauereien in Europa, Amerika und Australien. Der Foodblogger und Gastro-Journalist liefert eine Einführung in die Craft-Beer-Welt mit spannenden Geschichten und Empfehlungen zum Pairing von Bierstilen und Gerichten. Beides wird, wie schon bei der Streetfood-Bibel Auf die Hand, von FotografinDaniela Haug brillant in Szene gesetzt.

Das Buch kann, auf Wunsch mit individueller Widmung, handsigiert auch über meinen Autoren-Shop bestellt werden

  1. bekannt auch das sogenannte sprungweizen: nord- und süddeutscher trinken, auf einem tisch stehend, ihr weißbierglas so schnell als möglich aus (sog. extrinken) und springen danach auf den boden.
    ich bin selbst aus süddeutschland. ich weiß, wovon ich breche.

  2. Ich wische mir eben ein Tränchen aus dem Augenwinkel: Danke für dieses Wort gewordene Ernstnehmen des Weizens. Ergänzend höchst subjektive Details:
    – Als Kneipenbedienung habe ich gelernt, bis zu vier Weizen gleichzeitig einzuschenken. Dazu werden die Gläser auf die Theke gelegt, Öffnung zur Einschenkerin; die vier offenen Bierflaschen beherzt einführen und nach der oben perfekt beschriebenen Methode in die Gläser leeren. In Diskotheken (und zu Zeiten, wo solche Etablissements noch so hießen) schafften Profis bis zu zehn Gläser auf diese Weise. Was diese aber aus Zeitgründen immer ausließen (ich nie): am Ende die leere Flasche kräftig schwenken und noch ein wenig Hefe ins Glas tröpfeln.
    – Die Verteilung von Weizen, Weißbier, Weizenbier ließe sich sicher in einer Karte einzeichnen. Aus Ingolstadt stammend, bin ich mit “Weizen” (Herrnbräu, durchaus empfehlenswert) großgeworden. Dieses Wort gilt in München als genau so provinziell wie es tatsächlich ist, wird gerne mal als Bestellung nicht akzeptiert: “Wos? Ah, a Weißbier.”
    – Weizen kann sehr grauslig schmecken, wenn es kein gutes ist. Im Zweifel, so habe ich von einem eingefleischten Weizenliebhaber gelernt (der regelmäßig blindverkostet), ist ein dunkles Weizen die sicherere Wahl: Auch eher mittelprächtiges dunkles Weizen ist nie so scheußlich wie ein schlechtes normales Hefeweizen.
    – Ich stoße nie mit Weizen an, aus Trotz gegen das dämliche Ritual. Allerdings ist das derselbs Trotz, der mich auf den (in bayerischen Sportredaktionen bis heute üblichen) Gruß “Habbedjehre” mit “Küßdihaaaand” antworten lässt.

  3. Das war eine der größten Marketing-Meisterleistungen vom Fonsäh Schubeck: Als er noch in Waging im Kurhausstüberl residierte, hat er 0,1 Weißbier als “Glaserl boarischer Champagner” als Aperitif in die Karte geschrieben und einen entsprechend bizarren Preis verlangt: Chapeau! Ich jedenfalls kenne kein Getränk, das erfrischender ist als ein schönes Hefe. Die Mainstream-Marken nur zur Not, das Traunsteiner oder das Straubinger bekommt der Weißbier-Snob sogar in Berlin!

  4. Nicht wirklich. Bei meinem jaehrlichen Geschmackstest faellt es immer wieder durch. Komm ich einfach nciht mit klar. Daran wird auch dieser schoene Artikel nichts aendern.

  5. Kaltmamsell, vielen Dank für ergänzenden Infos, beeindruckend, das mit den vier Weizen! Vieleicht mal über ein Youtube-Video nachdenken?

    Chris, vom Herrn Schubeck können wir alle noch lernen. Salz mit Chiliflocken zu vermengen und das “Chilisalz” dann für einen Kilopreis für 38 Euro, das Glaserl zu 6,80 Euro, zu verticken, das hat schon was. Was Abgebrühtes.

  6. Die Geschichte, die ich gehört habe (steht so ähnlich auch in der Wikipedia): Zur Zeit der Münchener Räterepublik ließen sich die kommunistischen Räte das Weißbier mit Limo strecken, damit sie einen klaren Kopf behielten. Und weil die Kommunisten damals meist “Russen” genannt wurden, war Weißbeir mit Limo ab dann eben die “Russenmaß”.

  7. …oder was es mit dem Reiskorn im Kristallweizen auf sich hat.*

    Dafür hätt’ ich zwei Erklärungen fürs Erden des Glases parat: die eine Geschichte ist, daß nach irgendeinem Scharmützel in irgendeiner Schänke an der Grenze zwischen Bayern und Preußen Soldaten beider Lager an einem Tisch saßen und weil gerade frisch der Friede verkündet worden war, ziemte es sich recht, miteinander anzustoßen. Nur daß die Bayern danach den Krug noch einmal absetzten – quasi um die freundliche Geste ungeschehen zu machen.
    Die andere ist zwar schöner, aber viel unwahrscheinlicher (sowas könnte ich mir besser in Mexico o.ä. vorstellen, wo bei Familienfesten ein Extrateller mitgedeckt wird): man stößt nochmal an mit den Verstorbenen im Totenreich.

    *Und das Sternderl, hach, soll ich’s auch noch auflösen? Es hat was damit zu tun, daß jahrelange Predigten des Musiklehrers, man solle vorsichtig sein, in Discos würden jedem Drogen ins Getränk gemischt, manche Fünfzehnjährige erschrocken auf ihr Weizenglas stieren lassen. Naiv, dann die Bedienung zu fragen? Wie Sau. Aber noch die absurdeste Erklärung ist besser als eine Paranoia.
    Den Weizenkult versteh’ ich jedenfalls immer noch nicht. Nichts geht über ein dunkles Landbier. Mit Stadtwurst. Das beste aus beiden Welten.

  8. Selbstverständlich gießt man Weizenbier eben NICHT so ein, wie hier beschrieben. Sondern schön langsam mit schräg gehaltenem Glas. Wer mal im Getränkekeller einer durchschnittlichen Gaststätte war, der weiß, dass die Flaschen von außen oft abartig dreckig, staubig und sonstnochwas sind. Und dieser Schmutz hat im Glas nix zu suchen. Man würde die Flaschen ja auch nicht von außen ablecken. Oder?

  9. Zur Russenmaß gehts sogar noch ein wenig genauer: der Überlieferung nach wurde sie im Mathäserbräu in der Bayerstr. erfunden (die Mathäser-Brauerei war ursprünglich eben eine Weißbierbrauerei, gehörte damals aber dann schon zu Löwenbräu), in dem sich am 8.11.1918 der Arbeiter- und Soldatenrat unter Kurt Eisner konstituierte. Der Mathäserbräu diente dann eine Zeit lang als Hauptquartier der Revolutionäre, und das Bier für die Rote Garde wurde mit Zitronenlimo gestreckt. Die Herleitung von Revolutionäre = “Russen” hat Chris K. ja schon beschrieben.

  10. Schön, dass Sie hier eine Lanze für das Weizenbier brechen, Herr Paulsen. Aber Ihre grundsätzliche Aussage: “Merke: Fassbier schmeckt immer schlechter als Flaschenbier.” kann nicht unwidersprochen bleiben. Mir zumindest ist ein gezapftes immer noch wesentlich lieber als ein Flaschenbier. Ich finde einfach, dass es bekömmlicher ist, zumal Weizenbier. Das üble Rülpsgefühl ist wesentlich geringer. Beim Pils gilt für mich, z.B. ein “Jever” aus der Flasche ist sehr, mir zu herbe. Aus dem Fass jedoch ist es ein Genuss. Das alles gilt nicht für “Warsteiner”, weil das kein richtiges Bier ist.

  11. Ist noch niemandem aufgefallen, daß es in der Überschrift nicht “oas” sondern “oans” heißen muß! Ein “Oas” ist im Bayrischen ein Furunkel!!!!

    1. Ich nehme mal an um Glasbruch vorzubeugen. Wenn schwungvoll-männlich angestossen wird, ist das zarte Oberglas in Gefahr, der dicke Glasboden hält dagegen stand. Zudem machen die aneinanderstossenden Glasböden ein sehr schön trockenes-vielversprechendes Geräusch.

  12. Danke Danke Danke für diesen wunderschönen Artikel…. ich habe Tränen gelacht… ist es nicht herrlich, wie amüsant man knallharte Fakten verpacken kann. Ich bin heute nur durch Zufall auf diesen Artikel gestoßen, weil, ich mich erinnerte, dass wir als junge Mädels immer Kristallweizen mit einem Zitonenschnitz getrunken haben. Dadurch wurde das widerliche Kristallweizen echt trinkbar und ich erinnerte mich daran, dass ich auch früher im Hefeweizen einen Zitronenschnitz vorfand. Ich liebe Weißbier und komme nach Ausflügen zu trübem Kellerbier und diversen Pilsmarken immer wieder schnurstracks reumütig zu meinem Franziskaner zurück.
    Heute wollte ich mal von Mister Google wissen, ob ein Zitronenschnitz im Weißbier immer noch en vogue ist und ich hoffnungslos out bin, weil es mir so nicht schmeckt…. und …TATA…. bin ich auf diesen grandiosen Artikel gestoßen.
    Jetzt lass ich mir mein Weißbier schmecken und freue mich, dass ich alles richtig mache .
    Perlende Grüße von Susn

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