Gelesen: Effilee-Das neue Foodmagazin

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Vor einigen Wochen diskutierten wir hier im Blog über die Unmöglichkeit der Deutschen Foodzeitschriften-Landschaft, sowie über die Möglichkeiten einer neuen Foodzeitschrift (mit vielen lesenswerten Comments!). Und Schwupps da ist sie, Deutschland hat ein neues Foodmagazin, es kommt aus Hamburg, seit Anfang November ist Effilee (frz. für: gerupftes Geflügel, das mit Kopf, Füßen und Innereien angeboten wird) an gut sortierten Kiosken erhältlich.
In Zeiten in denen in den Medien wild über die Ablöse von Printformaten durch Online-Angebote spekuliert wird, erfreut die Tatsache dass Effilee aus einem Internetportal hervorgegangen ist, der gleichnamigen, kulinarischen Plattform effilee.de, vormals bekannt als „Kochpiraten“-Blog in Wikiform. Ein langer Weg.

Effilee, das „Magazin für Essen und Leben“, so die Unterzeile, kostet 6,80 Euro, ist mit edler Lumbeckbindung im Bookazine-Style ausgestattet, fester Einband, wertiges, dickes Papier, 130 Seiten stark, fast sich gut an.

„Fit durch Fett“ lautet der Titel-Aufmacher der Doppelausgabe November/Dezember, illustriert mit einem Stück appetitlich schmelzender Butter, ein Statement gleich zu Beginn, Hungerhaken und Magerqueens sind nicht die Zielgruppe. Die angeteasten Storys auf dem Titel machen neugierig. Der Hinweis auf die 27 Rezepte wirkt wie ein Alleinstellungsmerkmal, neben den mehrheitsfähigen „Spaghetti“ will man die Leser mit Kalbshirn (!), Dattelmakronen und Gänseleber zum Heftkauf verführen, nicht nur neu sondern auch anders sein.

Im Editorial verspricht Herausgeber Vijay Sapre das „Abenteuer Essen“, lesenswerte Food-Reportagen also, genau das, was in Diskussionen um neue Ess-Zeitschriften so oft gefordert wird. Zuerst mal gibt es Vermischtes „Buffet“ nenne sich die Kurznachrichten, sehr schön die Strecke mit Leibnitz Butterkeks-Verpackungen im Wandel der vergangenen 100 Jahre. Auf Seite 12 dann schon das erste Rezept, ein „Schneller Teller“, Spaghetti mit Koriander-Pesto und Tomaten. Die schnellen Teller kommen öfter und sind locker im Heft verteilt, fotografiert von Andrea Thode im derzeit angesagten, aufgeräumten Styling: Teller, Untergrund, fertig. Foodstylist Ingo Breuer richtete an.

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Die erste Reportage: der Herausgeber als Küchenjunge im Hamburger Landhaus Scherrer bei Altstar-Koch Heinz Wehmann. Obwohl ich selbst aus der Küche komme, machen mir derart gelungene „Behind the Küchentür“-Reportagen großen Spaß, den Fachmann freuts und der Laie staunt, lehreich werden am Seitenrand die einzelnen Küchenposten beschrieben. Schöne Geschichte, lebendig schwarz-weiß bebildert von Fotograf Jo Jankowski.

Wieder ein „Schneller Teller“ sehr konventionelle, alltagstaugliche Komposition Maispoularde mit Paprikagemüse und Reis. Der Reis ist aus einer Tasse auf den Teller gestürzt, ich bemerke es mit Grausen. Hab ich was verpasst, kommt das wieder ? (Zuschauer der Sendung „Das perfekte Dinner“, werden an dieser Stelle einwerfen, dass der gestürzte Reis aus der Tasse nie weg war). Seufz.

Jetzt wird’s ganz gewagt. Im Nürnberger Restaurant Essigbrätlein wurde eine Modestrecke fotografiert (Foto:Detlef Schneider, Produktion und Styling: Britta Mccay, Model: Kristina Almanova, Haare & Makeup: Giovanni Rivas). Das Restaurant wird zur Tapete, die als „originell und überraschend“ angekündigte Küche von Andrée Köthe und Yves Ollech ist nirgends zu sehen, Kristina Almanova präsentiert Mode, Schmuck und Uhr vor leerem Tisch. Abgesehen davon, dass ich nicht zwingend eine Modestrecke in meinem Foodmagazin haben muss, ist das natürlich redaktionell ein genialer Schachzug: die Einbindung von Mode und Schmuck eröffnen dem Foodmagazin völlig neue Möglichkeiten im Anzeigengeschäft. Wenn nächstes Mal auch die Kochkunst auf den Fotos eingebunden wird, wäre das zudem auch noch interessant für die männliche Leserschaft.

Rubrik: Getrunkene Flaschen. Der Château D´Yquem 2001 wird erklärt, sehr schöner Text von Peter Lau, bebildert mit einer leeren Flasche. Nette Idee, das Farbspiel des Weines, gerade beim goldglänzenden Château D´Yquem, entgeht dem Leser leider.

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Große Kochstrecke! Stylistin Maria Grossmann ist bekannt für Ihre Originalität, hier spielt sie mit Gips und weißem Porzellan, fein und rau und hell, der Rahmen für das „Menü für Zwei“, fotografiert von Wolfgang Schardt. Irgendwie müssen aber die „Menü für Zwei“-Gäste Appetit auf anderes bekommen haben, an Vorspeise, Suppe und Dessert wurde nur genascht, der Hauptgang gänzlich unberührt, mit leichter Hand angerichtet von Foodstylistin Anne-Katrin Weber. Vielleicht wurden unsere zwei Genießer ja von den eingeblendeten Literaturzitaten in die Flucht geschlagen, die Fotostrecke hätte auch für sich allein gesprochen. (Dem Duo Schardt/Weber verdanken wir übrigens auch dieses schöne Kochbuch!)

Wieder eine leere Flasche, eine Legende, Romanée Conti 1966, getrunken und beschrieben von Markus Hesemeier, auch er findet einen ansprechenden, modernen Ton für seine Weinbeschreibung. Klasse.

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Der Aufmacher „Fit durch Fett“ ist dann der Teil für Ernährungswissenschaftler, puh, na gut, ok, ist nicht so meins, trotzdem lesenswert und gar nicht tröge geschrieben von Ralf Grötker…unheimlicher Star des Beitrags sind aber die wunderschönen Illustrationen von Marco Wagner, so was ist innovativ!

Innovativ will natürlich auch das Kalbshirn sein, dass sich in den Artikel eingeschlichen hat, Kalbshirn mit pinkfarbenem Lavendelschaum. Grundsätzlich begrüße ich die Verwendung von Innereien, ein ganzes Geschmacksuniversum geht jenem flöten, der sich grundsätzlich diesem Thema verweigert. Ob allerdings ausgerechnet Kalbshirn mit Lavendelschaum Lust auf mehr macht, ist stark zu bezweifeln. Aber warum nicht als feste Rubrik in jedem Heft ein alltagstaugliches (!) Rezept mit Innereien!?

Auf der nächsten Seite gedenkt Autorin Michaela Schlagenwerth dem Weißsauer, einem fast vergessenen Gericht, sehr schön! Der Schnelle Teller Nummer drei ist Zander mit Rosmarin-Kartoffeln und grünem Spargel, bisschen dröch, würde meine Großmutter sagen.

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Es folgt eine kurze, interessante Eiswein-Reportage von Markus Hesemeier und Fotograf Olaf Tamm, in das sich zwei Rezepte eingeschlichen haben, die gut zu Eiswein passen. Eines ist gebratene Gänsestopfleber mit Apfel-Joghurt. Aus Erfahrung weiß ich, dass die bloße Erwähnung des Wortes „Gänsestopfleber“ in Blogs, Foren oder Zeitschriften, eine Flut der aufrechten Empörung nach sich zieht, sehr mutiges Rezept also.

Dann ein viel zu kurzes Portrait des Tre-Torri-Verlegers Ralf Frenzel von Maike Steenblock (Fotos: Andrea Thode). Spannender Mann, ich hätte noch mehr Fragen gehabt, das wäre eine gute Chance gewesen, interessierten Lesern Einblick in den schwer umkämpften Kochbuchmarkt zu gewähren.

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„Stil“ ist hier eine Doppelseite ein schön gedeckter Tisch von Annett Wollesen, fotografiert von Anselm Gaupp. Hübsch. Jetzt erklärt Michael Hoffmann vom Berliner Margaux einen Teller, Makrele mit Süßkartoffeln und Koriander, was hat er sich bloß dabei gedacht? Wie entsteht so ein Gericht? Was will der Koch erreichen. Hoffmann erklärts. Toll! „Ein Teller“ wird hoffentlich feste Rubrik, das ist spannend und macht Appetit. Plötzlich: Einzelseite Geschirr. Ich begreife: Der Tisch, Hoffmann und das Geschirr gehören zusammen, „Stil“ eben. Aha. Muss man erstmal drauff kommen, Tisch & Teller und so!

Es folgt Peter Lau der einen Schokoladenladen vorstellt, In´t Veld Schokoladen in Berlin. Holger In´t Veld ist Pionier der inflationär wachsenden Schokoladenladendichte. Na gut. Ist das jetzt auch noch „Stil“? Nein „Wissen“! Ein Schneebesen wird vorgestellt, und noch einer und noch einer…Wissen & Werbung also, Wenn man das Kleingedruckte liest. Schnell nen schnellen Teller hinterher.

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Und Party! Eine was…? Eine Keksparty! Ein Schelm wer sich Bewusstseinerweiterndes verspricht! Es geht um süsse Sünden ohne Eintrübung der Wahrnehmungsfähigkeit. Zwei junge Frauen und ein tätowierter Mann trinken Champagner aus fettpatscher-schlierigen Sektgläsern und mümmeln dazu „Cookies“. Seltsame Party, eventuell doch was reingebröselt ?
Jedenfalls tolle Rezepte von Anne-Katrin Weber, Fotos: Malte Braun, Styling: Carlos De Oliveira. Im Anschluss werden Kekse wissenschaftlich erklärt, der Autor wird verschwiegen, dabei ist der Text echt in Ordnung.

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Nach Herrn Hoffmann denkt nun Herausgeber Vijay Sapre selbst über ein Rezept nach und zwar die Ente. Ziel, Überlegung und Umsetzung, man fühlt sich ein bisschen an Jürgen Dollases Wissenschaftsküche erinnert, aber nachdenken schadet nie und die Fotos von Andrea Thode sind sehr lecker.

Jetzt geht’s auf Weltreise, eine Hausfrau aus Osaka erklärt wie und was sie so kocht, im Alltag, fremde Töpfe sind immer spannend. Autorin Susanne Hochuli war mit Fotograf Daniel Ammann in Ecuador, tolle Reportage über Kartoffelanbau in 3400 Meter Höhe.

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Anne-Katrin Weber und Wolfgang Schardt wandeln inzwischen auf den Spuren der „Abenteuerküche“ aus der Zeitschrift „Essen & Trinken“. Dort dürfen die Mitarbeiter der Versuchsküche schon seit langem immer wieder mal total crazy Kompositionen zaubern, dem Leser zum Vergnügen, denn die gewagten Gerichte schmecken überraschend gut und erweitern kulinarische Horizonte durch Herausforderung. Dort wie hier eine spannende Rubrik, bei Weber gibt es Kartoffelrösti mit Apfelgelee das mit Fischsauce und Chili gewürzt ist, Poularde mit Senffrüchten, Kürbis-Crumble mit Schokostreuseln und Feigeneis mit grünen Oliven. Hola!

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Und noch nen schnellen Teller und dann mal wieder ein Glanzstück: Lammtopf, gekocht vom Iraner Ali Malek, Cynthia Lawrence aus Neuseeland und Stathis Patsalias aus Griechenland. Hier stimmt alles, die Idee, das Konzept, die Gerichte, die Texte (Alexander Kasbohm), die Fotos (Andrea Thode), toll, mehr davon! Mit einem Panoramafoto eines Restaurants am Ende der Welt und „Diäten im Netz“ endet das viel versprechende Heft.

Fazit:
Echte Knüller waren sämtliche Reportagen, Herr Hoffmanns Gedanken und die wunderbare Lamm-Nummer. Kalbshirn, Keksparty und Modestrecke waren nicht so meins, die Rezeptfotografie ist gelungen und angenehm unaufgeregt, die zeitgemäße Weinsprache macht Lust auf mehr. Grundsätzlich habe ich die erste Ausgabe von Effilee sehr gerne und mit Gewinn gelesen, wünsche mir eine Vertiefung des Schwerpunkts auf große Lesestrecken und Reportagen, Einblicke in fremde Töpfe und Küchenkulturen begleitet von hochwertiger Fotografie. Das ist es, was eine moderne Foodzeitschrift konkurrenzlos machen könnte, auf dem Deutschen Zeitschriftenmarkt, aber auch gegenüber dem ständig wild wachsenden Rezeptangebot aus dem Internet.
Gut zu erzählen, in Wort und Bild, das sollte die neue (alte) Stärke von Print ausmachen.

  1. So. Das wäre ein historisches Ereignis. Eine Rezension die lesenswerter ist als das Besprochene. Ich hoffe die Leute bei Efilée können das Niveau, das sie im ersten Heft anteasen, noch steigern. Doch ehrlich gesagt: (leider) glaube ich nicht dass sie es schaffen werden. Die schnellen Teller sind zu bewusst everyday gehalten und etwas na, eben wie Oma sagt: dröch, präsentiert. Am Rest fehlt mir ein wenig der schmackige Eindruck. Kochen ist Leben, hier ist es noch etwas zu viel Style. Aber alles in allem ist es eine gute und willkommene Bereicherung des Food-Zeitschriften- Segments, das hoffen lässt.

  2. Ja, es bleibt spannend. Was mir imponiert hat, ist der Umstand, das viele große Verlagshäuser Scharen von Mitarbeitern entlassen, alle Welt steht augenreibend am Abgrund einer größeren Wirtschaftskrise und überhaupt wird viel lamentiert in Deutschland, und da kommen ein paar Menschen und Gründen eine neue Zeitschrift, schaffen Arbeitsplätze und Bewegung im Foodzeitschriften-Segment. Mutig. Ich drück auf jeden Fall die Daumen!

    Aquii: ich wars nicht, Effille wars!

  3. Die Blogrezensionen, von denen ich in den letzten Wochen etwas mitbekommen haben, hatten bei mir den flüchtigen Eindruck aus der Bahnhofsbuchhandlung verfestigt: blöder Titel, inhaltlich zu kurz gesprungen. Dann kommen Sie daher, mit dem berühmten Paulsen-Touch, und ich muß in der Mittagspause zum Zeitungskiosk. Dankeschön!

    Ich revanchiere mich, Kleingeist der ich bin: Das (Buch)bindeverfahren heißt Lumbecken – nach einem Herrn Lumbeck, wenn mich mein Hobbythek-Gedächtnis nicht völlig im Stich gelassen hat. „Lumback“ ist wohl die Transliteration (heißt das so? Isa hilf!) ins Englische, à la Kebap -> Kabob, Burma -> Birma, uswusf. Bitteschön!

  4. ich habe die Ausgabe 03/04 gelesen. Im Inhaltsverzeichnis wird ein Artikel zu Juan Amador in Frankfurt-langen angekündigt. Darauf habe ich mich sehr gefreut. Aber was haben mehrere Seiten Modeaufnahmen mit Herrn Amadors Küche zu tun? Wenn ich Mode sehen möchte kaufe ich mir eine Modezeitschrift! Dieser Artikel animiert mich sicher nicht zum weiteren Kauf Ihrer Zeitung

    1. Vielen Dank, Frau Traub, für Ihre Kritik, ein wichtiger Hinweis. Effilee ist noch ganz neu, da wird noch viel ausprobiert, da werden neue Wege gesucht, Dinge ausprobiert, da gefällt sicher nicht jedem alles. Eine spannende Zeit, in der Kritik besonders wichtig ist. Gerne leite ich Ihre Zeilen an die Redaktion weiter und verbleibe in der Hoffnung, dass Sie zumindest auf den übrigen Seiten noch lesenswerte und inspirierende Beiträge fanden.

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