Unterwegs: Frankfurter Buchmesse (I), Herta Müller und das digitale Kochbuch

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Morgens bin ich schwer erträglich. Katzengleich hüpfe ich aus dem Bett, durchschneide mit beherzten Karateschlägen die Luft, singe den Badezimmerkacheln ein Liedchen und begrüße den Tag mit gespannter Erwartung und Dankbarkeit. Hey, ich lebe noch, die erste Hürde des Tages ist genommen. Unter klarblauem Morgenhimmel fährt die S-Bahn durch dampfende Wiesen, vorbei an Äckern und Kohlfelder hinein nach Frankfurt, hinein in meinen allerersten Tag auf der Frankfurter Buchmesse.

So viele Bücher, gewaltige Hallen, weite Wege. Am Vorabend haben meine Verleger den Stand schon aufgebaut, in der Halle 4.1, C120. Hübsch ist es geworden, bemerkenswert tapeziert und da stehen unsere Bücher, darüber die Autorenfotos, Michael Weins steht in einer Schwimmhalle, Finn-Ole Heinrich am Flusslauf, ich sitze im Restaurant. Neben uns die Herrschaften vom Voland & Quist Verlag, drüben der Blumenbar Verlag und wie ein Marktplatz, direkt vor uns, die Leseinsel der jungen Verlage, stündlich wechseln hier die Vorleser, das wird sicher nicht langweilig. Ich streiche ein bisschen durch die Halle, trinke zuviel Kaffee und warte dass es Mittag wird, ich habe einen Termin.

Eine junge Frau fragt nach mir, ich werde abgeholt und zum Gläsernen Studio der ARD vor den Messehallen geführt, in einem Bauwagen warten wir auf meinen Auftritt und ich bin plötzlich sehr aufgeregt, ein leichter Schwindel, ich habe vergessen zu essen, jetzt, fünf Kaffee später merke ich das erst, würge mir einen Butterkeks hinein und werde ins Studio geführt. Ruth Fühner, Moderatorin der hr2 Sendung Doppelkopf begrüßt mich freundlich, eben saß hier noch die großartige Terézia Mora, und jetzt 20 Minuten Gespräch über mein Buch. Unwirklich. Vor den hohen Fensterscheiben tanzen hölzerne Drachengesichter mit Wurmfortsatz auf Menschenbeinen, chinesische Trommler geben den Takt, wir hören das, die Radiohörer nicht, versichert die Technik, das Interview beginnt und es läuft, es macht richtig Spaß, Frau Fühner ist angenehm und mir sehr sympathisch, unser Gespräch kann hier als Podcast in der ARD Mediathek nachgehört werden (im Anschluss an das Gespräch mit Terézia Mora, ab Min. 00:27) .

Digital Cooking. Ein Gespräch in Halle 5.0. in der neuen Gourmet Gallery. Es ist ganz entsetzlich, die mit Spannung erwartete Messenovität entpuppt sich als eine kalte Showküche und über die Breite einer Hallenseite sind Kochbücher an die Wand getackert, darüber die Namen Verleger. Die Gourmand World Cookbook Award-Kochbuchausstellung erinnert an die Kalender-Labyrinthe die zur Weihnachtszeit in Buchhandlungsfilialen wuchern. Lieblos fällt mir ein, so als Wort. Dazu passt der bekannte Journalist, der sich unberufen mit einer Kochjacke verkleidet hat und Cola aus einer 1,5 Petflasche nuckelt.

Drei Experten auf der Bühne Suzanne Koranyi-Esser von Readers Digest, Rocco Georgi der aus dem Gamer- und Softwarenetwicklungsbereich kommt und der Kollege Patrik Jaros, ehemaliger Koch und Foodstylist der jetzt mit einer Firma für Koch-Appplikationen gestartet ist. Gemeinsam beschwören die Drei ihre Vision: benutzerfreundliche Digital-Kochbücher zum Download für sämtliche Smart-Phones, ähnlich der App die ich hier vor ein paar Tagen vorgestellt habe. Verkaufen möchte man, an der Gratis-Gesellschaft vorbei, indem man mit Features wie bewegten Zubereitungs-Steps und kleinen Filmen, Menüplaner, Einkaufszettelfunktion, Lexikon, Übersetzungshilfen und vor allem Qualität überzeugt. Eine Konkurrenz oder gar den Tod der klassischen Kochbücher bedeuten die Koch-Apps nicht, eine Einschätzung die ich teile, auch ich sehe die Apps eher als Zusatzangebot für eine spezielle Käuferschicht, für spezielle Anwendungen. Ähnlich wie heute schon bei Vinyl-Schallplatten praktiziert, sind zum Beispiel App-Codes in Kochbüchern denkbar: der Käufer zahlt einmal für das Buch und bekommt als praktischen Mehrwert die App dazu geliefert.

Morgenstimmung bei Industrie und Verlagen, denn: Apps können auch intensiv für Product-Placement genutzt werden, vor allem aber: der Content ist schon da! In den Archiven der Kochbuchverlage lagern Millionen von Rezepten und Bildern, die nur noch digitalisiert werden müssen. Ein einfach zu generierendes Zusatzgeschäft. Ob die Produzenten des Materials, die Fotografen, Stylisten, Foodstylisten, Journalisten und Autoren, an diesem Nebengeschäft mit der Zweitverwertung beteiligt werden bleibt abzuwarten, die Honorargestaltung der Zukunft sollte aber dementsprechend angepasst werden.

Der Tag vergeht im Flug, keine Spur von der angedrohten Langeweile, Freunde und Bekannte schauen vorbei, ich komme heute gar nicht mehr raus aus „unserer“ Halle, die Messe werde ich in den nächsten Tagen gänzlich erkunden müssen. Für den Abend ist die traditionelle Buchmesse-Lesung im Römer angekündigt, eine Auswahl der „besten“ Autorinnen und Autoren gibt sich ein Stelldichein bei Lesung und Gespräch, eine Traditionsveranstaltung. Verlags-Kollege Finn-Ole Heinrich gehört zu den Auserwählten, teilt sich an diesem Abend die Bühne mit der frisch gekürten Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller.

Beim schnellen Abendessen in der Traditionsgaststätte Steinernes Haus besprechen wir lachend die glücklichen Umstände. Gesottene Ochsenbrust wird aufgetragen, mit grüner Sauce und Kartoffeln, dazu Bier, dass „bei internationalen Messen und Weihnachtsmarkt nur ab 0,5 Ltr. serviert wird“, so steht es in der schweinsledernen Speisekarte und uns ist es recht, die angetrockneten Kartoffeln müssen schwimmen, zumal die Sauce knapp bemessen ist. Um uns herum bestellen die vielen Chinesen die eigentliche Spezialität des Hauses: „Brocken“ vom Lavastein, wortwörtliche Fleischbrocken die roh auf dem heißen Stein serviert, in Steaks zerteilt und kurz gegart werden, der Beilagensalat stört nicht weiter die Fleischeslust.

Wir haben dank Finn VIP Karten für den Römer, jenes Haus auf dessen Balkon sich die Deutsche Nationalmannschaft gerne feiern lässt. Im Gewölbesaal sitzt und steht man dicht gedrängt, ob Herta Müller kommt ist die Frage die unruhig im Raum steht, gestern hatte die Literaturnobelpreisträgerin eine Lesung in Essen wegen Krankheit abgesagt. Es gibt Rotwein aus der Gegend, im Dunkel ist das Etikett nicht zu lesen, es schmeckt nach Fruchtsaft und Leder, üppig belegte Salami und Käsebrötchenhälften werden gereicht. Sigrid Löffler und Gerwig Epkes betreten die Bühne heißen willkommen und sprechen die erlösenden Worte, ja, gleich würde man Herta Müller herein führen und es sei einfach so, Applaus sei erfahrungsgemäß nur einmal so richtig gut, als möge man bitte nicht klatschen wenn Frau Müller hereingeführt würde, sondern erst später, wenn die Sendung beginne. Viel verlangt.

Herta Müller teilt das Menschenmeer, bahnt sich ihren Weg durch das Blitzlichtgewitter der Fotografen, eine winzige, zarte Frau, unfassbar zerbrechlich, strahlt sie doch eine große Würde und Kraft aus, blickt aus dunkel geränderten Augen in die Objektive, streicht sich das schwarze Haar aus dem Gesicht. Eine unwirkliche, atemstockende Stille im Römer, nur das Klicken der Kameraauslöser bricht die erzwungenen Stille, das Klatschverbot. Die Nachrichten noch und die Verkehrsmeldung, dann geht man live auf Sendung, das Publikum explodiert. Minutenlanger Applaus folgt der Nennung Herta Müllers Namen, so wird hier sonst nur unter dem Balkon des Hauses geklatscht. Euphorisch feiert das Literaturpublikum Herta Müller und ich habe noch nicht eine Zeile von Herta Müller gelesen und ich habe trotzdem Gänsehaut und ich werde das nachholen, weil gleich darauf ist es wieder still im Saal als Herta Müller liest, vom Grauen erzählt, vom Tod, von der Menschenverachtung, in einer klaren, fast nüchternen Sprache, die es braucht um vom Grauen zu berichten und die doch merklich leidet und berührt. Im Gespräch ist Herta Müller zurückhaltend und bescheiden bis zur Selbstaufgabe, und das ist in ihrem Fall keine eitle Koketterie, diese Frau ist ganz bei sich und tut was sie tun muss, schreiben, aus ihrer Geschichte heraus Geschichte erzählen. „Man kann im Lotto gewinnen, ohne zu spielen“, sagt Herta Müller seufzend, mit traurigen Augen blickt sie ins Rund, „ich hoffe dass in zwei, drei Wochen alles wieder normal ist“, dann lacht sie und sieht sehr schön aus.

Wir fiebern mit Finn-Ole Heinrich, wir hören Terézia Mora, Matthias Politycki, Lutz Seiler und Feridun Zaimoglu, dann hinaus in die klare Nacht, den Kopf kühlen beim Gang hinunter zum Main, hinein in die Rote Bar am Mainkai, die ganze Horde, lachend, fröhlich, aufgedreht. Die Barkeeper kucken finster, die vielen Bierbestellungen bessern ihre Laune nicht und ich überlege ob das nun unprofessionell ist, oder wir schlechte Gäste. Ich bestelle einen Gin Tonic mit Hendrick´s Gin und Gurke, danach einen French 75, beides meine Lieblingsdrinks, beide tadellos bereitet und serviert, die können was hier. Ich werde mutiger und frage direkt beim Chef nach: ob er mir, zum Abschluß meiner Gin-Runde noch etwas empfehlen könne, ich liebe Gin und ich mag es gern frisch, erfrischend trocken. Ich bekomme eine Eigenkreation des Hause: Gin, frische Minze, Holundersirup und Traubensaft, ein Hauch Zitrone. Perfekt, wunderbar harmonisch und rund, frisch mit feiner Säure, angenehm zurückhaltendem Alkohol und noch namenlos. Chapeau!

Auf der Rückfahrt mit der S-Bahn kommt es noch mal zurück, das Glück und die Dankbarkeit des Morgens, was für ein reicher Tag, was für ein Glück diesen Verlag gefunden zu haben, mit diesen Menschen unterwegs zu sein, das alles zu erleben. Und das war…du liebe Güte…erst der erste Messetag.

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