(K)ein Kochbuch: "Das is(s)t Deutschland" – Menschen und ihr Lieblingsessen

…kaum eine Geschichte, so scheint es, erzählen Menschen mit so viel Freude, Liebe und Wärme wie die ihrer Leibspeise.“

(Nataly Bleuel)

…schlaaand, …schlaaand!“, nur ein paar Wochen noch, dann zeigt Deutschland wieder Stimme und Flagge zum Spiel auf dem fernen Fußballrasen in Südafrika. 2006 war es, als die Deutschen, anlässlich der Fußball-WM im eigenen Land, ein kurzes, flüchtiges Wir-Gefühl entwickelten. Ist ja nur Fußball, machen doch alle, entschuldigte man sich schnell und nach der WM wurde zügig und mit deutscher Gründlichkeit entflaggt. Man sei als Nation zusammen gewachsen, wusste zumindest die Presse gegen Ende des überhitzten Sommermärchens zu berichten.

Die Deutschen tun sich schwer mit ihrem Selbstbild, das Grauen des Dritten Reiches verbietet denkenden Menschen einen allzu umfassenden Nationalstolz, emotionale Exportschlager wie deutsche Mode, Kunst und Literatur stiften zumindest kulturelle Identität. Auch die Küche eines Landes ist bestens geeignet, Heimat und Identität jenseits politischer und geschichtlicher Wirrungen anzubieten, die traditionellen Gerichte, Weine und regionale Spezialitäten prägen Selbstbild und Außenwahrnehmung eines Landes. Die Speisekammer Deutschland ist gut gefüllt mit Knödel, Kraut, Wurst und Brot, dazu schmecken Riesling, Silvaner, Trollinger und Blauer Lemberger. So schmeckt also Deutschland? Sind die Deutschen in der Küche tatsächlich Heimatverbundene Traditionalisten? Und wer genau sind eigentlich „die Deutschen“?

Diesen Fragen sind Nataly Bleuel, Dagmar Hoetzel und der südafrikanische Fotograf Stan Engelbrecht, nachgegangen, haben Deutschland bereist, an fremden Haustüren geklingelt, in deutsche Küchen und Lebensläufe geblickt. Sie waren Tischgäste in deutschen Wohnstuben, Gartenhäusern, Wohngemeinschaften, Bauernhäusern, Wirtshäusern, Wohnwagen, Schrebergärten und einem Schloss. Herausgekommen ist ein im Wortsinn großartiges, liebevoll gestaltetes, so überraschend wie anrührendes Heimatbuch, ein kulinarisches Kaleidoskop der Republik, jenseits der üblichen Abziehbildchen.

Das sind sie also, die Deutschen: sie heißen Brunhilde Steinhauer und Ora Guttmann, Xiaofei Wu und Maximilian Held und sie erzählen von ihren Leibspeisen, sie kochen Karpfen Blau und Sauerbraten vom Pferd, servieren Kebab Halab, Kirchweihnudeln und Seljodka pod Schuboi.

Zehn Wochen waren Nataly Bleuel und Stan Engelbrecht unterwegs, 12.000 Kilometer Deutschland kreuz und quer, sie haben Menschen getroffen, die ihre Türen öffneten und am Küchentisch von Lebensgeschichten und Leibspeisen erzählten. Warmherzig, witzig und pointiert sind die 75 Begegnungen in kleinen, unterhaltsamen Texten dokumentiert, Fotograf Stan Engelbrecht gelangen Fotos von beeindruckender Intimität und Nähe. Die Portraits im Buch sind von hoher Intensität, berührende Begegnungen, Einblicke in das Leben der Menschen zwischen Nordsee und Bodensee.

Kaum einer der Porträtierten kocht nach Rezept, schon gar nicht sein Leibgericht, im Buch finden sich die handschriftlichen Notizen aus deutschen Küchen in Form einer rührenden Zettelwirtschaft, in der es manche Rezeptur zu entziffern und kochtechnisch zu deuten gilt. „Alle in diesem Buch versammelten Köche haben sich redlich um die Verschriftlichung ihrer Lieblingsrezepte bemüht“, erklärt das Vorwort und das passt prima zur authentischen Gesamtwirkung des Buches.

„Das is(s)t Deutschland“ ist eine mit viel Humor, Respekt und Sorgfalt erzählte, wunderschön fotografierte und opulent aufbereitete Entdeckungsreise durch deutsche Küchen, durch ein Land, das überraschend bunt, engagiert und vielfältig ist. Wie die Menschen die dort leben.

Einen Blick ins Buch gibt es online unter:

www.das-isst-deutschland.de

Das is(s)t Deutschland
Nataly Bleuel, Dagmar Hoetzel, Stan Engelbrecht

DayOne Publishing
254 Seiten mit Fotografien, Illustrationen und Rezept-Faksimiles
Originalausgabe 2009
ISBN 978-3-00-026320-0
EUR 39,90 (inkl. 7% MwSt.)

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