Kurzbesuch auf der Leipziger Buchmesse 2011

Kraftwerk grotesk

Da vorne am Lesepult sitzt eine Legende. Weltweit wird der ältere Herr im schwarzen Rollkragenpullover von Musikschaffenden, insbesondere von Freunden elektronischer Musik und minimalem Schlagwerk, kultisch verehrt. Dem Besuchergleichstrom der Leipziger Buchmesse, fällt Wolfgang Flür aber erstmal garnicht auf.

Leipziger Buchmesse 2011

Der ehemalige Drummer der Band Kraftwerk hat Musikgeschichte geschrieben und zwei Bücher. Eines, Ich war ein Roboter erzählt die Legende der Düsseldorfer Electro-Pioniere aus Flürs Sicht. Sein neues Buch hat er zusammen mit seiner Partnerin Zuhal Korkmaz geschrieben, es heißt Neben mir, der Untertitel verspricht: Rheinland Grotesken.

Zwei Bücher, zwei Leben und für jene Besucher der Lesung, die um die Kraftwerk-Vergangenheit wissen, nicht eben schnell unter einen Hut zu kriegen: da sitzt der Elektro-Gott und liest mit deutlich rheinischem Zungeschlag und komödiantisch gefärbter Intonation ein Kapitel über ein Hunde-Restaurant. Ein zarter Zierhund dreht auf einem Sushi-Fließband seine Runden und wird in Folge von einem hungrigen Artgenossen verspeist, dieser wiederum stirbt durch die rächende Hand der Zierhundbesitzerin. Auch die übrige Hundeschar treibt es ausdauern bunt, auf dem Höhepunkt müssen gar zwei Rassehunde erschossen werden, untrennbar ineinander verkeilt und verbissen.

Oh-hoho! lacht das Publikum, unsicher aber durchaus fasziniert. Es gäbe noch vier weitere Hunde-Restaurant-Kapitel im Buch wirbt Flür zum Schluss und verabschiedet sich freundlich lächelnd mit einem knappen Nicken in den Messesamstagnachmittag. Auf erlesentv.de wird es demnächst den Mitschnitt von Flürs Lesung zu sehen geben, falls das jetzt auch für Sie eher überraschend kam.

Pelmeni und Würzfleisch

Für mich begann die Messe am Freitagabend mit einer ganz persönlichen, kulinarischen Osterweiterung: vor meiner Lesung in der Kleinen Träumerei, traf ich mich mit meinen Verlegern im nahe gelegenen Café Cantona auf einen stärkenden Happen. Vorfreudig entdecke ich auf der Karte Pelmeni, die russischen Nudeltaschen sind mir noch nicht über den Teller gelaufen. Als das Essen kommt, bin ich erstmal enttäuscht, die Dinger sehen aus wie Dosenravioli. Mit der ersten Gabel kommt die Erleuchtung, die würzigen Nudeltäschchen sind mit Biss gegart und mit würzigem Fleisch gefüllt, reichlich mit Sauerrahm getoppt, der cremig schmilzt, dazu schmeckt der rustikal geschnittenen Kohlsalat am Tellerrand. Unglaublich gut!

Leipziger Buchmesse

Die SWR Lesung in der Kleine Träumerei ist ausverkauft, mir ist es eine Ehre mit Peter Stamm und Anne Weber auftreten zu dürfen und zusätzlich ein großes Vergnügen mit Katja Oskamp, die mit Wumms und sächsischem Dialekt den schwarzhumorigen Monolog einer älteren Dame auf Kaufhaustour vorträgt. Mein Text über den äusserst manipulativen Maître eines Sternerestaurants kommt ebenfalls gut an beim Publikum, viele Lesungsbesuch versprechen mir im Anschluss, beim nächsten Restaurantbesuch besonders freundlich zum Servicepersonal zu sein. Die Lesung wurde aufgezeichnet und wird zu einem späteren Zeitpunkt im SWR Radio zu hören sein, ich gebe bescheid.

Der Abend endet, wie begonnen, mit einer weiteren kulinarischen Premiere. Für den langen Tisch der Veranstalter, Verleger und Autoren fährt die Küche dankenswerter Weise eine Nachtschicht und ich komme in den Genuss von „Würzfleisch, klassisch“ einer ostalgischen Angelegenheit, die im feuerfesten Tässchen serviert wird: ein Fleischragout in heller Bechamel, mit Käse überbacken, dazu Toastecken, eine halbe Zitronenscheibe und „Exzellent Worcester Sauce Dresdener Art“ Guter Stoff! Bringt einen durch die Nacht und hilft aufs Fahrrad.

Cosplay und Japan

Der Buchmesse-Samstag beginnt mit der traditionellen Stürmung der Bücherschau durch zehntausende Cosplayer: nach Art japanischer Manga– und Anime-Comic-Helden verkleidetes Jungvolk verstopft nachhaltig alle Gänge. Konnte ich im vergangenen Jahr noch kopfschüttelnd Altersmilde aufbringen, nervt es dieses Jahr einfach nur. Hinweise auf den zeitgleich stattfindenden atomaren GAU im Heimatland der Cosplay-Kultur finden sich nicht, eine inhaltsleere Klamotten-Kirmes. Kunstblutverschmierte Teenager, sichtbar in der körperlichen Findungsphase, staksen Textil-arm und auf High Heels durch pubertäre Irrungen und stehen ansonsten im Weg.

Foodblogger-Kurztreffen und Social Media Erkenntnisse

Erfreulicheres findet sich auf meinem Handy, die Kommunikationsdesignerin Ariane Bille ist auf der Buchmesse, unterm Arm einen Prototypen ihres Buches über 12 deutschsprachige Foodblogger, ein Projekt das aus ihrem ihrem Foodblog heraus entstanden ist. Erstmals darf ich die wunderschön gearbeitete und gestaltet Diplomarbeit in Buchform ansehen. Dafür wird noch ein Verlag gesucht! Gemeinsam machen wir uns auf die Suche nach Blogger Paul Fritze vom Einfach lecker essen -Blog, über Paul entsteht der Kontakt zu Katharina Hönk von Valentinas Kochbuch, die ebenfalls hier rumschwirrt und wir verabreden uns alle auf einen Kaffee.

Leipziger Buchmesse 2011
(Ariane und Katharina nehmen mich in ihre Mitte, hinter der Kamera steht Paul)

Das klappt, ein kurzes, aber anregendes Vergnügen, es ist schön, sich mal (wieder) zu sehen, offline is quality time! Paul und ich hören uns noch gemeinsam den Vortrag von Leander Wattig an, der Social Media-Experte und Initiator von Ich mach was mit Büchern, teilt wieder einmal sein Wissen um gelungene Social Media Arbeit mit der Branche.

Leipziger Buchmesse 2011

Erstaunlich wie wenige Fachbesucher sich für Wattigs fundierte Erkenntnisse um den Zukunftsmarkt der Gegenwart interessieren. Wenn da mal nicht ein bis zwei Anschlüsse verpasst werden…

Ziegenkäse vs. Leberkäse

Zufällig komme ich an einem imposanten Messenstand namens „Berliner Zimmer“ vorbei, der Eingang ist versperrt von einer grimmig dreinblickenden Dame die einen Klappaufsteller bewacht, auf dem steht, dass jetzt gleich der Literaturkritiker und Kulinariker Denis Scheck und die Ärztin Eva Gritzmann ihr gemeinsames Buch Sie & Er – Der kleine Unterschied beim Essen und Trinken vorstellen. Nur für geladenen Gäste. Geschlossene Gesellschaft.
Mist. Ich muss da rein.

Ich stehe eine ganze Weile vor Klappschild und Dame, hoffe von dort aus der Buchpremier lauschen zu können. Die Dame blickt drohend, die Augen verengt zu feindseligen Schlitzen. Ich suche das Gespräch: „Ähm, ich geh dann jetzt besser, ne?“ „Wer sind Sie überhaupt! Von wem kommen Sie?“, fragt streng die Wächterin. Artig nenne ich meinen vollen Namen, Verlag und Buchtitel und zaubere damit überraschender Weise ein Lächeln aufs Gesicht der Dame: „na, dann huschen Sie mal rein!“ Dollstens!

Leipziger Buchmesse 2011

Zur Rubrik der Geschlechter vergleichenden Bücher habe ich ein gespaltenes Verhältnis, welches insbesondere dem Wirken des Volkskomikers Mario Barth geschuldet ist, der dieses Thema jahrelang, ausdauernd und mit lahmen Allgemeinplätzen überstrapaziert hat. Zudem erlebe ich den Unterschied zwischen Mann und Frau jeden Tag Zuhause und in allen Lebenslagen. Was ist die Neuigkeit?

Ich habe die Rechnung ohne Denis Scheck gemacht, der gemeinsam mit seiner Mitautorin und Schulfreundin, der Berliner Ärztin Eva Gritzmann eine hinreißende, temporeiche und hochkomische Buchvorstellung liefert. Rasant, wortwitzig, klug und wissenschaftlich fundiert präsentieren das Autorenpaar faktenreiche Auszüge aus seinen Erkenntnissen zur Kulinarik der Geschlechter. Ich will aber nicht vorgreifen, ich habe mir das Buch gekauft und werde es zeitnah hier genauer besprechen. Wer eine Buchpremiere mit Robert Gernhardts Diätlied (mit Ohrfeigenbegleitung) beendet, der bekommt von mir auf jeden Fall schon mal eine kleine Vorschusslorbeere.

Auf dem Rückweg schaue ich noch mal bei erlesentv vorbei, die Jungs filmen gerade eine Lesung von Markus Kavka. Auch einer von den Guten. Rottenegg heißt das neue Buch des Musikfernsehmoderators, Journalisten und DJ, sein erster Roman, ein Heimatroman. Markus Kavka hat leider gerade fertig gelesen, konzentriert war er ins Buch vertieft. Er blickt auf und staunt: „Oh! Menschen!“

Leipziger Buchmesse 2011

DLL Party und Vollmondwehmut

Wären nicht auch die schlechten Gedanken frei, ich hätte sicher Hausverbot im alterwürdigen Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Die dortige Buchmesse-Party war mir jedenfalls im letzten Jahr ein Quell der besonderen Freude: wenn angehende JungliteratInnen zu den Hits der 80er Romananfänge tanzen, ist das beste Unterhaltung. Diesmal spielt vorab eine Band auf, deutlich den Strokes und Franz Ferdinand zugetan, nur eben mit verstimmten Gitarren. Wir diskutieren draußen weiter ob das so soll und trinken dazu Krostitzer nicht Köstritzer. Dann ist Diskozeit! Der diesjährige Jahrgang ist leider eine Enttäuschung:

Leipziger Buchmesse 2011

Das muss besser werden.
Dank meines nicht vorhandenen Orientierungssinnes genieße ich auf dem eigentlich kurzen Rückweg zum Hotel einen ausgiebigen Spaziergang durch eine unfassbar schöne Vollmondnacht, Leipzig strahlt.

Leipziger Buchmesse 2011

Schön war es mal wieder, die Begegnungen und Gespräche, die Lesungen, das Essen, der Wein (ja, auch das Bier), die Stadt. Mir ist ein bisschen wehmütig. Das nächste Mal komme ich erst mit neuem Buch wieder. Und das wird, ich weiß es leider ziemlich genau, noch eine ganze Weile dauern.

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