S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurants – Wissenswertes und Wunderliches

IMG_5532

Ich war neulich bei Sven Elverfeld im Aqua in Wolfsburg essen und habe anschließend nichts über das neungängige Menü beim berühmten Drei Sterne-Koch geschrieben. Das lag zum Einen daran, dass ich mein Essen nicht selbst gezahlt habe, ich war Gast. Das hätte ich im Beitrag erwähnen können (sponsored by Schwiegermutter). Letztendlich habe ich aber deshalb nicht berichtet, weil ich mein Auqua-Erlebnis nicht einordnen konnte.

Ich gehe sehr selten auf diesem, dem höchsten Niveau essen und…sagen wir es so: ich blieb bei Sinnen. Ich empfand das Menü überraschungsarm und überladen. Und wo ich als gelernter Koch, mit Erfahrung am Herd von Sterneküchen, zumindest die Küchenleistung zu Würdigen wusste, wenngleich auch ohne in den großen kulinarischen Glücksmomentehimmel abzuheben, waren meine Begleiterinnen regelrecht enttäuscht. Ich wunderte mich. Auf hohem Niveau. Aber ich wunderte mich.

Nach meinem Aqua-Besuch war ich kreuzunglücklich und ratlos, habe noch wochenlang nachgedacht, über das Menü, über die Unterschiede zwischen ein, zwei und drei Sternen, über Erwartungshaltungen und Übersättigung und über den Segen kleine Kreativkombüsen abseits des Gourmet-Bewertungsradars.

In meine Grübeleien platzte die Nachricht vom neuen Ranking der S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurant, jedes Jahr benennt eine Jury aus 800 Gastrokritikern, Food-Redakteuren, Kritikern und Köchen die 50 weltbesten Köche. Sven Elverfeld fand ich auf Platz 25. Ich hatte ein eher enttäuschendes Menü bei einem der besten Köche der Welt gegessen? Dagegen Klaus Erfort, bei dem ich das bislang beste Menü meines Lebens genossen hatte, auf Platz 88? Harald Wohlfahrt weit abgeschlagen auf Platz 73? Da stimmt doch was nicht.

Den S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurants-Award habe ich in der Vergangenheit geschätzt, weil es sich mir bislang immer so dargestellt hatte, dass dieser Award von Fachleuten im Wortsinn vergeben wird. Platz 25. Jetzt war ich wirklich irritiert.

Der Gastrokritiker und Foodjournalist Jörg Zipprick, der gerade sein Buch In Teufels Küche- ein Restaurantkritiker packt aus unter die Leute zu bringen hat, half mir jetzt mit seinem Hintergrundbericht über die Awards auf die Sprünge. In der kulinarischen Onlinezeitung Biss schreibt Zipprik über das unglaubliche System hinter den S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurant Awards, deren Siegerliste per Onlineabstimmung und ohne notarielle Prüfung ermittelt wird. Und auch ohne dass je ein Restaurant nachweislich dafür getestet würde.

Zipprick, einst selbst in der Jury beschäftigt, erzählt in seinem Artikel Erstaunliches. Lobbying ist das Modewort, der Schwabe nennt es schlicht Vetterleswirtschaft. Kulanter ausgedrückt könnte man gerade eben noch so von einem gesponsertem Networking-Maßnahme einiger Weniger sprechen, begleitet von höchster, medialer Aufmerksamkeit Unaufmerksamkeit.

Lesenswert und erhellend:

Das beste Restaurant Frankreichs und andere Irrtümer der Rangliste der besten 50 Restaurants der Welt 2011 von Jörg Zipprick, dazu ein Kommentar von Biss Chefredakteur Ludwig Fienhold.

  1. Ich bin so dankbar für diesen Hinweis auf kritische Stimmen zum Pellegrino-Ranking!
    auch wenn ich, mit etwas Einblick in das Tester-Unwesen, an schlimme Korruption gewöhnt bin – das ist mehr als dreist.
    Wie können hervorragende Köche, wie Massimiliano Alajmo innerhalb von 2 Jahren von Spitzenplätzen auf Platz 32 zurückfallen. Dabei wird im Le Calandre gekocht wie immer a – auf höchstem Niveau. Aber eben leise, konsequent individuell und bescheiden. Das gleiche gilt für den von dir erwähnten Klaus Erfort, sicher einer der besten Köche Mitteleuropas. Und das Niveau der von Qualitätsfanatiker Ducasse geleiteten Restaurants ist sicher auch höher als bewertet. Und warum Can Roca und Alinea, die mich beide mit ihren Menüs schrecklich langweilten, so weit vorne sind, ist mir jetzt auch klar, bei dieser Zusammensetzung der Jury. Eine Schande.

  2. Der Ansatz, mit den Kriterien von World’s 50 best unzufrieden zu sein, setzt ja voraus, dass es mit unabhängigen, objektiven Kriterien möglich wäre, eine Rangliste der 50 besten Restaurants festzulegen. Ich halte das für grundsätzlich unmöglich. Und so ist 50 best genauso wie Michelin oder Gault Millau ein Mummenschanz, der vermutlich durch wesentlich ausgereiftere persönliche Empfehlungsmechanismen dieses herrlichen, wunderbaren Internets im Laufe der kommenden Jahre abgelöst werden wird.

  3. Das sehe ich etwas anders. Sicher ist es unmöglich, objektive “50 Best” zu ernennen. Ebenso sicher werden solche Listen weiter vermarktet werden, solange das Geld von Nestle dahinter steckt. Man könnte jedoch bei der Wahl der “San Pellegrino 50 Best” zuerst einmal auf solides Handwerk bauen: Notarielle Kontrolle, Nachweis des Restaurantbesuchs. Dazu natürlich neutrale Juroren, die ihr Geld nicht zusammen mit den Bewerteten verdienen. Oder man könnte die Online-Abstimmung für alle User frei geben, ohne über die kuriose Auswahl der Juroren durch Chairpeople zu gehen. Und natürlich sollten die “50 Best” kommunizieren, wie viele Stimmen jedes Restaurant erhalten hat. Das könnte zur Meinungsbildung beitragen.

  4. Es gibt schon objektivierbare Kritierien,um Restaurants mit besonders herausragender Leistung zu bewerten. Und wenn man die gängigen, traditionellen Fressführer vergleicht, werden sehr gute Restaurants in der gleichen Liga eingestuft.Persönliche Vorlieben der Kritiker können zu kleinen Abweichungen in der Bewertung führen. Aber im Gesamten ist die Beurteilung ganz gut nachvollziebar.
    Mir sind Rankings von Restaurants und Guide Michelins relativ egal.Und ich orientiere mich schon längst am Urteil von Foodbloggern,von denen ich weiss,wie ihre Expertise aussieht. Aber es ist eine Beleidigung der besten Köche, wenn diese Pellegrino-Wertungen, von denen ein grosser Teil des finanziellen Erfolges abhängt, so eindeutig “geschoben” werden.

  5. Wer sind denn eigentlich die von Thomas Ruhl (Port Culinaire) ernannten Juroren aus Deutschland? Wirken die z.B. beim Kochfest “Chef-Sache” mit?
    Wenn man sich das Rating so anschaut, hat man den Eindruck, die Top-Köche verwenden alle Lebensmittelzusatzstoffe. Wer sich eher auf das Aroma guter Produkte verlässt und auf Avantgarde-Effekte weitgehend verzichtet, so wie Ducasse, Pacaud, Santamaria, Wohlfahrt oder eben Erfort, der hat in der Liste keinen guten Platz. Ist das auch Lobbying?

  6. Vielen Dank für den interessanten Artikel. Natürlich können Kritiken und Urteile nie wirklich objektiv sein. Was natürlich nicht heißt, dass man es nicht versuchen sollte, möglichst objektive Kriterien anzulegen. Das wichtigste ist eigentlich bei allen Rankings, dass man möglichst genau offenlegt, wie sie zustande kommen. Nur dann kann man sich einigermaßen ein eigenes Urteil bilden. Und das beste Urteil ist immer der eigene Geschmack, und hier sollte man sich nicht von den großen Restaurantkritikern den Schneid abkaufen lassen. Einfach selber testen.

    Mit getestetem Gruße

    Martin

  7. Auch ich verlasse mich immer häufiger auf Empfehlungen und Tipps der kulinarischen Peergroup im Internet, lese dabei aber auch immer noch mit großem Vergnügen die Restaurantkritiken in Foodzeitschriften und Zeitungen. Was Rankings und fundierte Bewertungsmodelle angeht, gefällt mir

    http://www.restaurant-ranglisten.de/

    sehr gut, dort werden die Ergebnisse der größten Restaurantführer zu einer Gesamtbewertung zusammengeführt, ein wesentlich klareres Bild ensteht als bei der Einzelbewertung durch nur eine Instanz. Um die besten 50 der Welt zu ermitteln, müsste es dieses System eigentlich nur für jedes Land geben, die drei-fünf besten jedes Landes gehen in die Gesamtwertung “Welt” um so tatsächlich ein differenziertes Bild der “Weltmeister” zu schaffen. Allerdings ist auch das wahrscheinlich nur ein großer Spaß für Freunde von Hitparaden.Die Suche nach dem persönlichen Hochgenuss ist eine andere.

  8. ach, noch so ne Liste…..War doch eh schon klar, dass es da um Vetternwirtschaft geht, wundert mich also nicht, Dein Beitrag.

    es gibt bei uns einen club des 100, wenn man da ein Mitglied kennt, hat man geniale Tips und kann ausrecihend in ganz tolle Läden gehen, ehe sie die üblichen Guides dann entdecken.
    Und, übrigens, ein befreundeter Koch sagte mir, dass Gault Millau in F. jetzt Geld verlangt von dem restaurateur, dass er darin steht…..Ich glaube 400€ oder so, den Guide kann man dann jawohl bald abhaken….

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Weitere Beiträge
Essen gehen: otto, Berlin – Perspektiven für eine neue Gast-Kultur?