Post aus Kroatien (1): die Erfindung des „Glamp“ und die große Sturmnacht von Viganj

Da sind sich auch die älteren, erfahrenen Camper sicher und nicken knapp, als sie anderntags in der Morgensonne konzentriert die Wohnmobile und Zelte nach Schäden absuchend umrunden: einen Gewittersturm dieser Güte hat keiner der sonnengegerbten Männer je erlebt. In Kleingruppen steht man auf dem Zeltplatz und erzählt sich gegenseitig von den eigenen, genialen Überlebensstrategien, mit denen es gelang, sein Leben in den neuen Tag hinüberzuretten. Dunkelblau, mit grünen Fransen, liegt unschuldig das stille Meer unter einer freundlichen Morgensonne.

Dabei hatte die Nacht so schön angefangen – mit der Erfindung des Glamp! Ein paar Tage sind wir nun schon auf dem wunderschönen Campingplatz „Antony Boy“, im kroatischen Surferparadies auf der Halbinsel Pelješac in Süddalmatien, leben mit den Freunden in Zelt und Wohnmobil unter Olivenbäumen, überwiegend aber unter freiem Himmel, der Blick übers Wasser hinüber zu Festung und Hafen von Korčula. Die Tage sind sonnig und gehören dem türkisklaren Meer, die Abende riechen nach Aftersun und Ausgehlust, am Zelt gibt es immer einen Aperitif, wir Männer trinken Karlovačko pivo aus riesigen Flaschen, ein frisches Lagerbier mit eleganter Perlung.

Unsere Frauen trinken: „erstmal nichts“. Bis zu diesem Abend vor dem großen Sturm, ich spiele mit einer grünen Mandarine, die es hier gerade über all gibt, grüne Limettenhaut, darunter orangenes Fruchtfleisch, das intensiv nach Mandarine duftet und sehr sauer schmeckt, ich hab da ne Idee. Seit Tagen schon an Bord: eine ungeöffnete Flasche Prošek, ein dalmatischer Süßwein, aus überreifen, sonnengetrockneten Trauben, das könnte passen. Ich gebe Eiswürfel in Gläser, gieße ein Teil Prošek darüber und fülle mit zwei Teilen eiskaltem Tonic Water auf. Das ist jetzt schon eine sehr gefällige Angelegenheit, aber erst als der Mandarinenschnitz im Drink sein Aroma entfaltet, wird der kroatische Highball zum „Glamp“, so taufen die Ladys den Drink nachdem sie fortan süchtig sind.

Der Name spielt auf das derzeit so populäre „Glamping“ an, einer Luxusvariante des normalen Campens, mit allem nur vorstellbaren Komfort, eine amerikanisch Erfindung. Das ist mit unserer Situation hier nicht vergleichbar, immerhin aber haben wir die Möglichkeit Eiswürfel zu bereiten und im Back des Campers brummt eine voluminöse Kühlbox zur Unterstützung des Kühlschrankes im Caravan selbst – wir finden: mehr glam war selten!

An diesem Abend fahren wir nicht ins nahe gelegene Örtchen Orebić sondern gehen zu Fuß am Meer entlang zum nahe gelegenen Restaurant Ponta. Vom Essen in Kroatien wird noch die Rede sein, das Ponta ist ein unkompliziertes Restaurant mit großer Karte und wer sich an die Klassiker hält, gegrilltes Fleisch, Meeresfrüchte, Djuvec-Reis und Palatschinken, der macht nichts falsch und vieles richtig. Wir genießen dazu ein paar Gläser eines schlichten Graševina, der Weißwein wird hier, in unterschiedlichster Güte, überall und gerne schon ab Mittag getrunken.

Unserer Vergnüglichkeit ist lautstark als wir selig heimwärts wackeln, nach einer Weile fällt mir auf, es ist eigentlich andersrum, nicht wir sind sonderlich laut – es ist unheimlich still. Psst. Bleibt doch mal stehen. Und tatsächlich: totenstille in der Dunkelheit. Kein Zirpen ist zu hören, kein Bellen, kein Blätterrascheln. Es fehlt aber vor allem jeder Wellenschlag. Das Meer liegt spiegelglatt und schwarz unter der fahlen Mondsichel, als warte es auf die scharfen Kufen von Eisläufern. Kein Wind weht, kein Blatt rührt sich, ich greife nach dem Ast eines Olivenbaumes am Wegesrand, nur um zu prüfen ob er noch Pflanze ist, oder schon Filmkulisse. Die Nacht ist drückend wie Blei, die Luft steht schwer und schwitzig. Es würde mich nicht wundern, würden sich jetzt, wie im großartigem Film Melancholia des dänischen Regisseurs Lars von Trier, weitere verschiedenfarbige Planeten unterschiedlichster Größe und Weltnähe am Himmelszelt zum Mond gesellen. Etwas stimmt nicht.

Wir kennen die Natur nicht, haben verlernt ihre Zeichen zu lesen, sorglos kriechen die Liebste und ich ins Zelt, die Freunde verschwinden ins Wohnmobil, gute Nacht, bis morgen. Der erste Donnergroll weckt uns gegen drei Uhr nachts, kurz flammt ein Himmelslicht auf, erhellt unsere Schlafstätte, dann setzt Regen ein, ein feines Prasseln. Eigentlich ganz gemütlich. Der Nächste Donnerschlag ist von solcher Wucht, dass sich unsere Zeltwände kurz aufblähen und zusammenziehen, dann ein bedrohliches Fauchen aus den Winnetou-Bergen hinter dem Zeltplatz, etwas kommt näher, die Olivenhaine rauschen, ein Rasen das lauter wird, dann trifft eine Wand aus Luft unser Zelt, die Böe schlägt mit einem mächtigen Boxhandschuh gegen die Zeltwand. Die Luft ist weiß und hell und elektrisch, der Wind tritt plötzlich von allen Seiten gegen unser Zelt, rüttelte an Stangen und Leinen, zerrt an Heringen. Blitze im Staccato, der Donner donnert mittlerweile durchgehend, wie ein Presslufthammer, knien sie sich gehockt in Kauerstellung in die Mitte des Zeltes, fassen sie keine Metall und auf keinen Fall die Verstrebungen ihres Zeltes an, habe ich mal gelesen. „Keine Angst, uns passiert nichts!“ erkläre ich, wenig überzeugt, der Liebsten, da lässt uns der nächste Donnerschlag auch schon aufrecht in unserem blitzhell erleuchteten Zelt stehen, die Liebste hat unsere Schlafsäcke bereits unterm Arm, ich fummle hektisch am Reisverschluss, es knallt schon wieder, durch die Regenwand sehe ich die Freunde an der geöffneten Tür des Wohnmobils stehen, sie rufen unsere Namen, wir rennen los.

PS: der Glamp sei mein Gastgeschenk an die gastfreundlichen kroatischen Wirte und Köche. Wer bitte braucht schon Aperol und Sprizz, wenn er Prošek und grüne Mandarinen hat?

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