Brüssel: Fritten, Bier und Schokolade (1): Cherchez la Frite!

(Frites © Tony Le Duc)

Eine Erscheinung auf Gleis 8 des Kölner Hauptbahnhofs, leise fährt der Thalys ein, stromlinienförmig, elegant, in Grau und Weinrot gewandet, ein Hochgeschwindigkeitszug mit der Ausstrahlung eines zeitlosen Klassikers. Das Radio in meinem Kopf spielt sofort Kraftwerks Trans Europa Express. Drinnen: geräumiger Komfort, auch für die Beine, Gratis-W-lAN und ein kaltes Mittagessen (Poularden Galantine mit Fenchel- und Rotkrautsalat) das von charmanten Kellnern mit bezauberndem Akzent serviert wird. Die Getränke sind im Fahrpreis inbegriffen, auch der Wein.

Foto:Thalys.com

Der Thalys, der seit 1995 Köln, Brüssel, Paris, Amsterdam und London miteinander verbindet (Abfahrten auch ab Essen, Duisburg, Düsseldorf, Aachen und Lüttich) ist eine europäische Idee und eine echte Alternative zum heimischen ICE, bei vorausschauender Buchung und mit dem richtigen Tarif kann man bereits für 29 Euro in der ersten Klasse von Köln nach Brüssel reisen.

Nach 1 Stunde und 47 Minuten erreichen wir Brüssel, zwei handvoll Journalisten, Redakteure und ein Blogger, wir dürfen an diesem Wochenende auf Einladung von Belgien Tourismus die kulinarischen Seiten der Stadt erforschen und mir geht es da zuallererst und am allermeisten um die legendären belgischen Pommes Frites, deren Ruf schon ins Mythische lappt. Ich habe mir vorgenommen das beste Rezept für die frittierten Kartoffelstäbchen mit Nachhause zu bringen und mache mich auf die Suche.

Einer der es Wissen muss ist Hugues Henry, der Journalist beschäftigt sich schon seit Ende der Neunziger mit Pommes Frites, betreibt im Internet die Seite frites.be und unterhält in Brüssel das Micro musée de la FriteHome Frit´Home“.

2012 erschien sein Buch Carrément Frites, das er zusammen mit Albert Verdeyen geschrieben hat, ein bildreicher Band mit tollen Fotos und Belegen zur Geschichte der belgischen Pommes Frites.

Zuerst aber staune ich über die über 300 historischen Exponate und Dokumente im Museum: großformatige Kunstwerke, eine Sammlung von Singles auf denen Pommes Frites besungen werden, Scherzpostkarten aus allen Jahrzehnten, Lampen in Pommestütenform, Comics, Bilderbücher, Figuren, Kostüme und ein Überblick über die Evolution der Pommestüte, die heute mit Luftlöchern und extra Saucenklappfach daher kommt. Kleidsam hübsch auch das Bracelet à Mayonnaise, eine kleine Plastikwanne für Pommessaucen, die wie eine Armbanduhr ums Handgelenk geschnallt wird.

Aber jetzt mal im Ernst: sind die wirklich so toll, die belgischen Pommes Frites – und wurden Pommes Frites wirklich in Belgien erfunden? Ja und Nein. Gleich zu Beginn räumt Hugues Henry mit bedauernder Mine ein, dass die Wiege der Pommes Frites aller Wahrscheinlichkeit nicht in Belgien stand – es war höchstwahrscheinlich ein Elsässer deutscher Abstammung der 1850 die erste Fritkot in Belgien eröffnete. Georg Krieger hieß der Mann, nannte sich Monsieur Fritz, auf seinem Frittenwagen prangte der Name FRITZ.

Zweifel angebracht sind mittlerweile auch an der schöne Geschichte mit den armen Fischern, die den Sommer über, entlang der Maas, kleine Fische fingen und frittierten und im Winter dann, in Ermangelung selbiger, kleine Fische aus Pommes Frites schnitzten und frittierten. Der überlieferte Reisebericht von Joseph Gérard, dem ständigen Sekretär der österreichischen Kaiserin Maria-Theresia, dürfte eher die Beschreibung eine Ausnahme gewesen sein, denn: die armen Fischer hätten sich das Fett zum Frittieren nicht leisten können, das damals extrem teuer und rar war.

Auch waren die ersten Pommes Frites nicht stäbchenförmig, sondern in Scheiben, bzw. Chips geschnitten, das zeigt ein hübsche Kitschbild von 1890, einer der erste Bildbeweise für kartoffelbasierte Frittiervorgänge in Belgien. Längst wurden auch in anderen Ländern allerlei frittiert, insbesondere auch in Spanien, der Heimat der Kartoffel, während die amerikanischen French Fries erst nach dem ersten Weltkrieg durch heimkehrende US Soldaten Verbreitung fanden.

Das Rezept!

Der belgischen Fritte gebührt aber dennoch Weltruhm, denn es ist die Technik des zweifachen Frittierens, die in Belgien erfunden wurde! Sie sorgt dafür, dass die belgische Pommes außen kross und knusprig und innen fluffig-weich ist. Erwähnung findet die Technik 1896 erstmals in Louisa Mathieus Buch Traité d’économie domestique et d’hygiène.

Bis heute werden belgische Fritten in diesem Verfahren hergestellt, das sich mittlerweile weltweit durchgesetzt hat. Eine gewichtige Rolle spielen in Belgien aber auch die Kartoffeln und das Fett. Bintje heißt die Kartoffel der ersten Wahl, eine stärkereiche Riesenknolle, als zufrieden stellend gelten Kartoffeln der Sorten Charlotte, l´Agria und Victoria. Gardemaß für die belgische Fritte ist ein Durchmesser von einem Zentimeter und eine Länge von nicht unter fünf und nicht über acht Zentimetern. Die Pommes Frites werden vorab in kaltem Wasser gewaschen (ganz wichtig!) und auf Küchentüchern abgetrocknet.

Frittiert wird in pflanzlichem Fett aber auch – und das macht einen großen geschmacklichen Unterschied: in graisse de boef, geschmolzenen, weißen Rinderfett, manchmal sogar in Rindernierenfett. Pommes aus dem Pferdefett sind seltener geworden, die in Rinderfett frittierten Pommes finden sich aber noch überall in Brüssel und Belgien. Frittiert wird im ersten Durchgang bei 160 Grad für 6-7 Minuten. Und zwar portionsweise! Auf Papier werden die vorgegarten Kartoffeln jetzt abgetropft und abgekühlt, es gibt Köche, die die Pommes Frites jetzt sogar noch mal einfrieren – für noch mehr Knusprigkeit und den zweiten Durchgang: bei 180 Grad werden die Pommes in 3-5 Minuten goldbraun gebräunt, wieder portionsweise. Salz und rein in die Tüte.

Ich verabschiede mich von Hugues Henry nicht ohne sein Buch gekauft zu haben (es ist auf Französisch geschrieben, aber auch für sprachlich Unkundige ein wahrer Schatz der kulturellen und kulinarische Pommes-Kultur, reich bebildert, es ergeht uneingeschränkte Empfehlung!). Ich habe jetzt großen Appetit auf eine Tüte belgischer Fritten, zunächst aber eine Verabredung im Atelier des belgischen Malers Gillis Houben.

Gillis Houben in seinem Atelier

Herr Houben malt Frittenbuden. Und zwar beinahe ausschließlich. Sein anderes Motiv sind Golfplätze. „Ich spiele gar kein Golf!“, Gillis Houben lacht und zeigt uns seine Bilder, großformatige Leinwände, darauf belgische Fritkot, die traditionellen Frittenbuden des Landes, festgehalten in Öl, es sind Hunderte, die gelungensten erinnern deutliche an die Malerei Edward Hoppers.

„Gibt’s nicht mehr, gibt’s nicht mehr, abgerissen, gibt’s nicht mehr…“ murmelt Houben, während er die Leinwände sortiert, nennt die Namen der Städte in denen die abgebildeten Fritkots einst standen. 8000 Frittenbuden zählte man 1950 noch in Belgien, jetzt sind es noch ca. 1600 (viele verzeichnet auf fritmap.com) – Houben ist zum malende Archivar der aussterbenden Kultureinrichtung Fritkot geworden. Fastfood-Ketten übernehmen den Markt, der jungen Generation sind die Fritten auch (vermeintlich) schlicht zu fettig.

Jetzt aber, ich will sofort eine Tüte Pommes! In Brüssels Straßen tobt derzeit noch das ganzjährige Gourmet-Festival Brusselicious und zum Zeitpunkt meines Besuches auch das Fritkot Festival, knapp 20 Fritkots nehmen am Wettbewerb mit Publikumswertung teil und verteilen die heiße Ware für einen Euro in grell pinkfarbenen Papp-Cornets. Ich entscheide mich für FRITLAND, mehrere Brüsseler Bürger munkelten auf Nachfrage den Namen der Fritten-Restaurantion an der alten Börse (49, rue Henri Maus, 11-01 Uhr, am Wochenende durchgehend geöffnet). Die Schlangen sind beeindrucken, auch weil jede Portion einzeln im Fett ausgebacken wird, in Rinderfett natürlich, und das dauert. Die jungen Männer an der Ausgabe beherschen den lockeren Spruch in allen europäischen Sprachen und verkürzen damit insbesondere weiblichen Gästen gerne die Wartezeiten. Die Pommes werden in Papiertüten gereicht, die saugen überschüssiges Fett auf und halten lange warm – Plastik ist hier verpönt. Die Pommes entpuppen sich als Idealfall und ich bin sehr, sehr glücklich:

Dazu gibt es die klassischen Saucen-Troika: hausgemachte Mayonnais, Sauce Tatare und eine sensationelle Sauce Namens Andalouse: eine Mayonnaise fein gewürzt mit Tomatenmark, Pfeffer und einem Hauch Estragon, leicht mit Weißweinessig gesäuert. Knaller!

Ein himmlischer Frieden überfällt mich. Jetzt wäre ja eigentlich Zeit, die schöne Stadt zu besichtigen. Oder aber ein Bier zu trinken. Gibt’s hier nicht auch die weltberühmten, belgischen Waffeln? Und was hat es eigentlich mit belgischer Schokolade? Ich glaube ich brauch aber wirklich erstmal ein Bier.


Links zum Thema:

Brüssel: Fritten, Bier und Schokolade (2. Teil): Lambic, Gueuze & Kriek

Belgien Tourismus

Thalys

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Brusselicious 2012

Fritkot Festival 2012

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