Tokio (1): Der Tag, an dem ich aufhörte, außerhalb Japans Sushi zu bestellen

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Ach Gottchen, süß die Japaner, denke ich noch, als ich den Tokioter Tsukiji-Fischmarkt betrete, wie fürsorglich, denke ich noch: am Eingang des größten Fischmarktes der Welt hängt ein Schild, das Touristen in englischer Sprache über die Möglichkeit informiert, hier eventuell überfahren zu werden, man möge bitte auf “Fahrzeuge“ achten.

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Keine drei Schritte später befinde ich mich in einer Szene aus Krieg der Sterne: hunderte bulliger Minitransporter-Drohnen transportieren auf kleinen Ladeflächen Waren von A nach B und halten dabei alle in flotter Fahrt direkt auf uns zu. Die mit 18 Autobatterien betriebenen Killer-Autos fahren praktisch lautlos und hupen auch nicht, Hupen gilt in Japan als extrem unhöflich und ich bin plötzlich hellwach. Es ist 4:30 Uhr in der Nacht, das hier ist besser als Kaffee, ich befinde mich mitten in einem sehr rasanten Videospiel. Habe aber leider nur ein Leben. Hasengleich schlagen wir uns durch, zur Thunfischauktion, die ist leider schon ausverkauft. 120 Zuschauerplätze werden pro Morgen vergeben, man ist besser schon um halb Drei da, lernen wir.

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Plan B: ein bisschen Sushi zum Frühstück. Im gemütlichen Gassenviertel entlang des Fischmarkts finden sich unzählige kleine Geschäfte, Sushi-Läden und Lokale, wir entscheiden uns für “Sushi Dai“, sämtliche Reise- und Genussführer aller Herren Länder schreiben nur in Superlativen von der Güte der dort gereichten Sushi, warnen aber vor Wartezeiten nicht unter 2 Stunden. Blödsinn, denke ich noch, als wir gegen 5 Uhr morgens das Lokal erreichen, befinden sich gerade mal um die zwanzig Personen vor dem Eingang der Sushi-Bar, der frühe Vogel und so, denke ich noch. Doch die freundliche Chefin des Ladens schickt uns wieder weg und zwar um die nächste Straßenecke, denn dort beginnt die echte Warteschlange. Da stehen gerade mal acht Leute, kein Beinbruch denke ich noch. Es ist bitterkalt und dunkel, gut dass wir gleich im Sushi Restaurant sind, denke ich noch. Heißer Tee wird gerreicht.

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Zwei Stunden später stehen wir direkt vor der Eingangstür und können wenigstens schon mal hinein schauen in die Sushi Bar. Es gibt genau 13 Plätze. Die Chefin notiert schon mal unsere Wünsche, ja das große Sushi Menü, jetzt erst recht. Um zwanzig nach sieben betreten wir endlich die heiligen Hallen und werden mit freundlichen Jubelrufen empfangen, ich hatte im Reiseführer von den überschwänglichen Begrüßungsritualen gelesen, drehe mich trotzdem nochmal um, ob nicht doch Madonna UND David Bowie grade hinter uns in den Laden drängen, nein, nein, die lautstarken Freudenschreie gelten unserer kleinen Reisegruppe.

Unter den gereichten heißen Tüchern tauen unserer Hände langsam auf, es gibt heißen Grüntee und Misosuppe und es wird ein Frühstücksei gereicht, Tamago, ein fluffiger mehrschichtiger Rühreiwürfel mit Algengrün und ich bin sehr glücklich hier zu sein. Und mir schwant, dass eventuell ein Teil des Erfolgsrezeptes von Sushi Dai dem Umstand geschuldet ist, dass alle Gäste nach über zwei Stunden in eisiger Morgendämmerung einfach kritiklos glücklich sind, hier zu sein. Ich beschließe kritikfähig zu bleiben, da wird das erste Sushi gereicht.

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Toro! Magerer Thunfisch. Glänzen und tiefrotfleischig, der Sushi-Reis ist gewärmt, Korn schmiegt sich an Korn, der Fisch zergeht am Gaumen, der beinahe unmerklich gesäuerte Reis zerfällt im Mund, andächtig kaue ich mit geschlossenen Augen.Und das ist der Moment in dem ich beschloss, nie wieder außerhalb Japans Sushi zu essen, es wäre sinnlos. Ich kaue und entschuldige mich bei all den Fischen, die sterben mussten, weil ich glaubte “Sushi“ zu essen. Für dieses eine Nigiri Sushi hat sich alles gelohnt, das Aufstehen, das Anstehen, der Flug nach Japan.

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Und wir sind ganz am Anfang eines wirklich großen Menüs. Erwähnte ich wie ungekannt tief, rund und würzig die Miso-Suppe schmeckt? Ihr Geheimnis findet sich am Grund der Miso-Schale, Gräten, Fischfleisch und Garrnelenschalen sind die Basis der unglaublich dichten Brühe. Der Meister hinter dem Tresen formt derweil jedes einzelne Sushi à la minute, frisch, für jeden Gast einzeln und in konzentrierter Ruhe. Seezunge jetzt, mit ein paar Körnchen Salz und zart mit Limette bestrichen, keine Sauce mahnt der Meister, recht hat er ein butterzarter Traum. Wir nicken andächtig, der Meister lächelt vergnügt und bereitet die nächsten 13 Sushi, Rotbarben-Nigri und Uni-Gunkan-Maki, taufrisch. Cremig zergeht der Seeigel-Rogen im Mund, nussige Süße.

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In schönem Tempo geht weiter mit fleischigen Kammmuscheln, Hering, Seebrasse, Snapper, Makrele, gerilltem Saal, fettem Thunfisch (OMG!) und Nori. Die Stimmung im Laden ist gelöst und heiter und international, gemeinsam mit dem Meister werden Fischsorten gegoogelt, man tauscht sich aus, das Interesse aneinander ist beidseitig und echt, auch die Gäste kommen miteinander ins Gespräch. Zwei Stunden, die wie im Flug vergehen, zwei Stunden in denen ich lerne, was Sushi wirklich ist, was Sushi sein kann. Und wir haben für das große Omakase Menü mit 14 Teilen und Misosuppe unfassbare 4.000 Yen bezahlt: das sind gerade mal knapp 30 Euro.

Als wir auf die Strasse in die Morgensonne treten, ist die Schlange auf 50 Meter gewachsen. Glück gehabt. Einen schöneren Start in meine Tokio-Woche hätte ich mir nicht ausmalen können. In hoher Geschwindigkeit nähert sich ein Transportbulli. Ganz lässig trete ich beiseite, grüße den Fahrer und nicke einen Morgengruß.

Sushi Dai
Tsukiji Fish Market
5-2-1 Tsukiji, Chuo-ku, Tokyo 104-0045

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