São Paulo (1): zwei Abende bei Alex Atala (D.O.M. & Dalva e Dito)

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D.O.M.

Als ich das D.O.M. in São Paulo betrete, bin ich seit 24 Stunden wach, Ortszeit 21:00 Uhr, mein Köper spürt und fühlt aber deutlich, dass es eigentlich gerade 2 Uhr Nacht ist, daheim. Daheim gehe ich nicht wirklich oft Nachts um Zwei noch ein Zehn-Gang Menü essen, aber das hier ist D.O.M. (Deo Optimo Maximo), das ist Alex Atala, das ist eines der besten und innovativsten Restaurants der Welt (sagen manche) und das war in der Reiseplanung nur an diesem, dem Anreise-Abend zu machen. Also los. Ich habe mich vorbereitet darauf, im Flugzeug so oft es ging ein Kurzschläfchen eingeschoben, nur wenig, aber regelmäßig gegessen, und viel Wasser getrunken. Jetzt gibt es im D.O.M. erstmal einen Caipirinha für mich, der passt gut zur Uhrzeit, hier und da, und ist von vielversprechender Klarheit, der Limettenduft beinahe schon blumig dicht, der Cachaça umspült samtig, scharf einen großen, klaren, runden Eisball der das Glas beinahe in Gänze ausfüllt.

Ich bin auf Einladung des Goethe Institutes in São Paulo, eine Ehre, ich darf hier in den kommenden Tagen meine literarischen Arbeiten und auch meine Kochbücher vorstellen, bin plötzlich auch Botschafter deutscher Sprache und Kultur. Hans-Georg Pestka hat in seinem Genusshandwerker-Blog einen lesenswerten Beitrag über Kultur und Essen am Beispiel meines Besuches hier in São Paulo geschrieben. Weil das hier aber keine Einbahnstrassse ist, habe ich mir vorgenommen, möglichst viel an brasilianischer Esskultur mitzunehmen, der Besuch bei Alex Atala ist mein Privatvergnügen, die Tischreservierung gelang allerdings so schnell nur durch meine wunderbaren Gastgeber.

Mir ist ein bisschen wattig im Kopf, aber ich beginne mich noch mehr auf den Abend zu freuen. Dabei sehen mir 14 Kellner zu. Ich habe normalerweise kein Problem alleine essen zu gehen, hier ist das anders. Ich habe keinen Katzentisch bekommen, sondern eine sehr präsenten Platz, auf der Längsseite des Restaurants, mitten im Raum, von hier aus kann ich alle Gäste sehen und alle Gäste sehen das arme Würstchen, das alleine in einem der besten Restaurants der Welt sitzt. Hat wohl keine Freunde. Oder aber, er spielt den großen Tester! Auch die 14 Kellner mustern mich mit skeptisch, 14 Kellner für 23 Gäste. Da ist viel Zeit zum kucken. (Später erfahre ich, dass es in Brasilien sogar unüblich ist, alleine einen Espresso im Café zu trinken, und mein „Verhalten“ eine wirklich außergewöhnlich besorgniserregende Zumutung für alle im Restaurant – der arme Mann!) Ich wähle das Menü Optimus, eine Reise durch brasilianische Aromenwelten, mit Weinbegeleitung.

DOM Menue

Und das Spektakel beginnt. Hausgemachtes Brot wird sortiert und aufgetischt, mit einer Creme aus geräuchertem Knoblauch, dazu Sauerrahm in Olivenöl, das Gedeck mir gegenüber wird abgedeckt, dann wird auch mein Gedeck abgedeckt, mein Tisch wird neu positioniert und verrückt, Zentimeter noch! Ich bekomme neues Besteck, weiteres Besteck, diverse Teller, da, der erste Gang, in zwei Schalen, das Wasser kommt auch, Moment, der Wein! Ein letztes Rücken am Tisch, ein letztes leises „Obrigado!“ meinerseits – ich habe eben gefühlt alle 14 Kellner in 3 Minuten kennen gelernt. Jetzt stehen sie wieder da und kucken.

Ich kucke auch, in die offene Küche, einem langen, gläsernen Schlauch, Chef nicht zu sehen, genug Köche sind aber da, Riesenmannschaft! Der erste Gang ist überhaupt kein erster Gang, sondern das Amuse Geule. Eine Art körniger, labsaftiger Frischkäse mit Chili, schwarzem Pfeffer und Koriander-Kresse, dazu wird eine ganze grüne Pfefferschote gereicht, auf Eis, gefüllt mit kalter japanischer Sake! Ich probiere, schlürfe, knabbere an der Schote, es ist die reine, feinscharfe Harmonie, es ist kühl und belebend und frisch und meisterhaft komponiert. Dafür hat sich die Reise alleine schon gelohnt, beschließe ich und es ist für mich der besten Gang an diesem, mit besten Gängen reich gesegneten Abend.

Es folgen butterzarte Röllchen von Tintenfisch, gefüllt mit Cashewmus auf einem Eisklotz serviert, dazu eine Maultasche aus transparentem, eher neutralem Geele, gefüllt mit süßer Wassermelone, reduziertem Jataí Honig, Baru-Nuss und einem streifen Tulha Käse. Irre gut! Einem Bisquit-Würfelchen mit Botarga folgt geräucherte und glasig gebratene Makrele auf einer samtenen Creme von roten Zwiebeln und zwei kleinen Zylinder bißfest gegarter Baroa Kartoffel.

Die hier lässig hingeschriebenen Feinheiten, bezüglich der regionalen Produkte, entnehme ich freilich erst später der Menükarte, die am Ende des Abends zur Rechnung gebracht wird. Ich habe über weite Strecken keine Ahnung was ich da genau genieße. Meine Freunde, die 14 Kellner der Shaolin, umschwirren mich wortkarg, wir stoßen sehr schnell an Sprachgrenzen, mit extra hohen Zäunen. Bis ich mich mit dem Sommelier anfreunde, der spricht englisch und kennt sich aus und seine Weinauswahl (viel Brasilien, viel Frankreich, einmal Chile, einmal Italien) ist spannend und trefflich in der Begleitung zum Essen. Das lobe ich auch laut und fortan bringt und erklärt er dem einsamen Fremden die Speisen und Weine exklusiv.

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(Die Lichtverhältnisse im D.O.M. sind am besten mit „sehr gemütlich“ umschrieben, ich entschuldige mich für die lausigen Fotos und empfehle die eindrucksvolle Doku über Atala in der Serie Chef‘s Table auf Netflix, STaffel 2, Folge 2!)

Zwischen den Gängen bringt der Sommelier immer erst die Gläser an den Tisch, die er zuvor aus einem kleinen Flacon innenseitig benebelt und zwar mit jenem Wein, der dann auch ins Glas kommt. Er aromatisiert so die Gläser und es steigert die Vorfreude, in die benebelten Tulpe zu riechen, das ist etwas völlig anderes, als später ins gefüllte Glas zu riechen, ich bilde mir ein, das Wesen des Weines dadurch mehrstufig und besser erfassen zu können. In jedem Fall spannend!

Pirarucu, ein gebratener Amazonasfisch von beinahe cremiger Konsistenz wird serviert, getoppt mit frischer Minze, dazu ein Samtpüree aus Banane und Açaí – Beeren, kombiniert mit rauchig gegrillten Schalottenhälften, grüne milde Chilis, Korianderöl, plus einem „Keks“ mit gefriergetrockneten Shrimps – ich habe ja keine Ahnung wie Brasilien schmeckt, aber ich glaube so. Überhaupt: wie lässig und auf den Punkt hier die regionale Küche auf höchstem Niveau serviert wird, das sind wirklich ganz andere und mir neue Aromen, komplex kombiniert im Spiel mit Konsistenzen, Temperaturen, Würzungen, Kräutern und Rauch, vor allem aber in der Wechselwirkung von süß-scharf und sauer-scharf, die hier und da deutliche Akzente setzen. Ich verstehe jetzt genauer, warum Alex Atala Genialität beschieden ist.

Der ausgelöste, glasierte und gebrannte Shrimp auf geriebener Cashewnuss ist alleine schon ein Gedicht, begleitet von seinem Kopf, in dem sich wiederum eine cremige Masse aus Kürbispüree und den Kopf-Innereien der Garnele zum herauslöffeln findet – mehr Garnele geht nicht und die Kombination mit Kürbis klau ich.

Beinahe schon klassisch, die Wachtel mit Wachtelleber-Püree, einer dichten, dunklen Fleischsaft-Jus – wäre da nicht dieses Stückchen frische, gebratene Ananas, die aus dem handwerklich perfekten Teller eine aromatische Offenbarung macht. Ich muss an eine Konferenz in der Redaktion von essen & trinken denke, da schlug ich vor Jahren mal gebratene Kalbsleber mit Ananas vor. Ausgelacht wurde ich: „Leber ’Honolulu’, oder was!“, rief der Chefredakteur. Ich genieße meine späte Genugtuung jedenfalls.

Superklassisch aber halt auch supergut ist der zweite Fleischgang: Kalbsstelze auf weißer Polenta. Hier zubereitet mit Tucupí, dem Presssaft von Bittermaniok, ich konnte aber nicht herausfinden, wo der eingebunden wurde, es schmeckte einfach rund und warm und tiefwürzig. Der letzte Gang ist überraschender Weise eine klassische Aligot, jene Käse-Kartoffelcreme aus dem Aubrac, über die ich auch schon in meinem alten Blog ins Schwärmen geriet. Hier kommen die Köche nahe dran ans Original.

Meister Atala taucht nicht auf an diesem Abend, das muss er auch nicht, ein guter Küchenchef kann seine Mannschaft auch mal machen lassen, ein bisschen traurig bin ich dennoch, da bin ich dann doch ein bißchen Fan-Boy. Das alte Times-Magazin mit Redzepi, Chung und Atala auf dem Cover habe ich umsonst mitgenommen und so schnell komme ich auch wohl nicht wieder her. Doch was solls! Dinglichkeiten! Ab dafür! Das Menü bleibt in Erinnerung, auch das lustige Mini-Dessert mit Klecks von auf Holzkohle gegrillter und pürierter Mango an einer Fingernagel-großen Nocke von Puxuri-Mousse – im Geschmack ganz groß!

Du weißt aber schon, wie spät es ist, sagt mein Körper, als ich zum Abschluss noch einen 12 Jahre alten Faß-gelagerten Cachaça pur genieße. Ich sehe auf die Uhr, gerade mal Mitternacht. Mein Körper weiß es besser und zischt: „Es ist fünf Uhr morgens!“
„Haben wir doch früher öfter gemacht!
„Ja früher!“
„Ok. Komm, wir laufen zum Hotel.“
„Auch das noch!“

Dalva e Dito

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Immer wieder ist zu lesen, der wahre Atala und die wahre brasilianische Küche sei eher in Atalas zweitem Restaurant zu finden, dem Dalva e Dito nur ein paar Schritte vom D.O.M entfernt. Da mein Hotel im Viertel liegt, mache ich mich ein paar Abende später, schon allein aus Chronistenpflicht, auf ins Restaurant. Lässig entspannte Atmosphäre im Wintergarten-artigen Eingangsbereich mit Bar, obwohl alleine und walk-in (ich habe nicht reserviert und es ist Wochenende!) dauert es nur einen Schluck vom gereichten Sakerinha (gute Idee!) bis zum Tisch mit Blick auf die Küche hinter Glas, ich freu mich.

Hier ist rammelvoll und laut, Partystimmung, Freitagnachtfieber, bunt gemischtes Publikum, klasse. Karte auf englisch! Ich bestelle Manjubinha-Fish mit „einer speziellen Mayonnaise, gemacht mit einem Amazon-Kraut das Jambu heißt“ und muss sehr lachen, als aufgetischt wird: die perfekt panierten Mini-Fische erinnern nicht nur im Aussehen an den Zuhause so beliebten Elb-Stint. Die Mayonnaise ist hausgemacht und schmeckt nach Mayonnaise, das Aroma der vereinzelt auftretenden grünen Kräuterfitzelchen erschließt sich mir nicht, ich schmeck jedenfalls nix.

Das ging jetzt so bisher. Dann kommt der „Octopus Vinaigrette“: der Salat ist undiskutabel versalzen, aber so richtig und ich bin aber Willens und hab ein so großes Herz, dass ich zwei Bissen lang noch überlege, ob Meister Atalas Köche hier vielleicht eine Brücke zum Meer schlagen wollen, dann muss ich selbst ein bißchen lachen über mich. Der Salat enthält zudem mehr Zwiebeln, als sich eine schwäbische Hausfrau an den Wurstsalat zu geben traute, es ist ein ganz und gar schrecklicher Oktopus-Salat.

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Zum Hauptgang bestelle ich Paton o Tucupi, laut Karte ein Icon-Dish der brasilianischen Küche und „das Lieblingsgericht unserers Chefs“. Die gekochte Ente in Brühe ist dann auch wirklich hervorragend, ich rühre nebenbei aus dem separat servierten Farinha-Dágua eine Art Brei im Teller an, erst später lerne ich, dass das Mehl eher locker über Suppen und Entöpfe gestreut wird. Der Jambu aus der Mayonnaise von oben, hier als kohlartiges Grünzeug in Brühe, die Brühe fein säuerlich und komplex, das befriedet doch erheblich!

Obwohl wirklich gut gesättigt, überredet mich die Neugier doch noch zu einem Dessert und zwar zu einem „Dessert for those seeking new savours“: „Rapadura-Mousse mit priprioca“ und Kaffee – in der Tat ein nie geschmecktes Vergnügen. Das Kaffee-Mousse aus karameligem Vollrohrzucker und Cyperngras ist eine Wucht! Cyperngras findet sich in der Parfumer- Herstellung und diese herbe Note Moschus, die das Kraut in die Creme bringt, ist raffiniert, subtil und mir eben auch gänzlich neu. Super!

So war das Menü im sympathischen Dalva e Dito ein gemischtes Vergnügen, der Besuch im D.O.M. ganz großes Kino – eine unfassbar gute, traditionelle brasilianische Küche habe ich ein paar Tage später aber woanders gefunden, am Rande der 20 Millionen-Stadt, bei Rodrigo Oliveira im Bar-Restaurant Mocotó – davon wird im zweiten Teil meiner kleinen São Paulo Serie die Rede sein!

Die ganze Serie:

São Paulo (1): zwei Abende bei Alex Atala (D.O.M. & Dalva e Dito)

São Paulo (2): der perfekte Capirinha, Feijoada bei Nacht und Gottesbeweise im Mocotó

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