Frühling in Berlin: mit Roy & Pris, einsunternull, Nithan Thai, Shoppingbummel und Che Sudaka

Zweieinhalb Tage kulinarisches Brainstorming in Berlin „wir nennen es Arbeit“ – aber wenn man doch schon mal da ist… und die Berliner Freunde haben wieder neue Adressen rausgesucht, in einer Stadt, in der neue Restaurants und Läden wirklich schwindelerregend schnell eröffnen und leider oft auch genenauso schnell wieder schließen. Die Aufmerksamkeitsspanne der kulinarischen Haupstadt ist gering – wo in Hamburg neuen Restaurants überhaupt erstmal zwei Jahre brauchen um sich zu etablieren. Der Besucher darf das einfach genießen und auf Entdeckungsreise gehen, jedesmal.

Der erste Abend führt uns ins Roy & Pris, ein gemischtes Theken-Tabel-Restaurant, dass sich der kreativen Asien-Küche verschrieben hat, mit Diskobeschallung, Diskobeleuchtung und mutigem Design, zwischen Disneys Film Tron und Steven Hawkins-Sternwarte. Es gibt viel zu sehen. Und zu hören. Das Beschallungsprogramm des Klapp-Rechners am Eingang steht wohl auf „cheesy Housemusic“ und der Dutzbatz geht um, in ohrenbetäubender Lautstärke und ich denke, vielleicht bin ich alt. Vielleicht ist das aber einfach auch keine Lösung, die Fahrstuhlmusik alter Tage ging wenigstens nach einer Weile wieder raus. Der House steht im Haus, all night long.

Wir sind aber zum essen hier und das ist gut so, denn die asiatischen Gerichte in Tapas-Größe können was! Richtig gut der Oktopussalat, mit sojawürzigen-Radieschen und saurem Rhabarber. Beim Salat von schwarzen Morcheln mit sauren Sardinen im Boquerones-Style mit Chili und Ingwer zeigt sich bereits der Hang zu beherzten Würzung, die dann bei der Bittermelone mit Salzgemüse und Chili zum atmemberaubenden Ernstfall wird. Dagegen ist die Wan Tan Two Suppe mit Garnelen, Schweinefleisch und Seitlingen in Hühnerbrühe eher unauffällig, aber gut.

Vor den Waschräumen ein wirklich imposanter Schminkspiegel und ich kann nicht anders, Selfie, passiert mir sonst nie. Die Toilette finde ich dann lange nicht, vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht, mehr sag ich nicht. Jetzt singt Michel Jackson, jemand hat Housemusik drüber gelegt, ich muss ein bißchen weinen. Tröstlich die übersichtliche Portion knusprig gegrillter Baby-Sepia-Köpfe mit Cumin und Hoisin-Sauce, herausragend die geschmorte Aubergine Szechuan Art mit Koriander. In Highlight ist das perfekt bleu gedämpfte Filet vom norwegischen Kabeljau mit Gemüsestreifen und Sojasauce, handwerklich und geschmacklich perfekt, beste Qualität. Das gilt auch für das geflämmte Sashimi vom Lachs-Loin auf Karottenstreifen mit Ingwer-Limetten-Saft. Dann wieder Disko-Bumms. Kann mal jemand den Rainer Trüby anrufen, bitte.

royandpris.de

Anderntags, zur Mittagszeit, großes Glück – mein Partner in Crime hat doch tatsächlich fürs Business-Lunch einen Tisch im einsunternull gebucht. Riesefreude! Im einsunternull, eben mit dem ersten Michelin Stern ausgezeichnet, kocht Ausnahme-Talent Andreas Rieger nordisch-regional-saisonale Küche, ich durfte Rieger beim Cooktank im Nobelhart & Schmutzig kennen lernen, wo er Kollegen und Presse eine eindrucksvolle Dessert-Idee vorstellte die überwiegend aus geliertem Wasser bestand, sagenhaft, nach dem Link hier im Blog nachzulesen!

An diesem Mittag wählt man aus sechs Gängen eine beliebige Anzahl von Gängen. Mein Viergangmenü startet mit „Champignon-Brot“, einem Vergnügen von vielleicht zwei hauchzart aufgeschnittenen Champignons af einer Creme von Zwiebelgewächsen und mit Goldleinöl. Zart und doch „ein mundvoll“ an Aroma, Reduktion die mich begeistert. Zweiter Gang ist ein in Steinsalz gereifter Saibling aus der Müritz in Lauch-Asche und mit leicht gesalzenem Moos serviert, an einer tiefdunklen Karotten-Reduktion.

Die geräuchert Spannrippe wurde 48 Stunden sous-vide gegart, dazu hauchdünne Kartoffeln mit gerösteten, geriebene Kartoffelschalen und Kamillenpulver bestäubt, auf einer Creme mit Kamille. Butterzart das rauchig-aromatische Fleisch und diese moderne Interpretation eines Kartoffelgratins ist genial. Alles hier ist wie ein Appetithappen von konzentrierter Würze, kaum wegggegabelt, will man mehr, doch das zerstörte den zauberhaft-flüchtigen Genuß. Im Mittagsmenü sind die Portionsgrößen, mit etwas vom guten Brot mit Butter, auch genau richtig. Zum Dessert eine „Kindheitserinnerung“ aus Johannisbeeren und Milch, da will man dann endgültig einfach nur reinhüpfen – große Klasse.

Lesetipp: bei der Kollegin Nicole Klauß gibt es einen lensenswerten Beitrag zum Menü, Nicole wählte die anspruchsvoll-intelligente alkoholfreie Getränkebegleitung zum Menü und schreibt in ihrem Blog Neue Trinkkultur detailliert darüber. Wir waren ja geschäftlich da und wählten darum die Weinbegleitung.

einsunternull.com

So neu, dass es noch garnicht so richtig auf hat, ist das Nithan Thai, und die Freunde seien an dieser Stelle nochmals gelobt und gepriesen für ihre aufmerksame, kulinarische Weitsicht. Das Nithan Thai versprüht durchaus orientalisch-asiatischen Pomp und Eleganz, die Plastik-Orchideen mögen der Soft-Opening-Phase geschuldet sein, wir freuen uns hier überhaupt einen Tisch zu bekommen, denn es ist an diesem Freitagabend doch schnell brechend voll. Die Musik auch hier populär und in Zimmersuperlautstärke (ist das ein Trend?), irgendjemand hier hat aber dankenswerterweise auch schon mal von Jazz, TripHop, Funk und Soul gehört, nice!

Die Küche hochspannend, ein Mix aus thailändischer Küche mit japanischen und israelischen Einflüssen – und ich machs kurz, das ist exzellent! Gebackene Tempura Rolls mit Thunfisch und Lachs in bester Qualität, auf einer sehr süßen, aber passenden Sesamsauce. Der beste Mangosalat den ich je aß, es ist eine Riesenschüssel für uns Drei, aber wir wollen niemals aufhören mit den Gabeln zu picken, feine Kohlstreifen, süße Mango, Fischsauce, Chili und Berge gerösteter Erdnüsse, Minze, Koriander. Jeder künftige Mangosalat wird sich an diesem Mangosalat messen müssen.

Zum Hauptgang ein supercremiges, rotes Curry mit Kokosmilch, und ich glaube auch zusätzlich brauner Butter (zumindest eine gute Idee, sollte ich falsch liegen) – jedenfalls: Geschmacksbombe mit glasig gegarten Shrimps, geräucherten Miesmuscheln und Entenfleisch. Dazu gibts Pommes! Großartig! Ebenso gut der bei 450 Grad gegarte Drumfish (musste ich erstmal googeln) in Currysauce. Die Sensation ist aber das dazu gereichte Püree aus Blumenkohl mit Kokosmilch. Einer der Momente, wo man sich nach 27 Berufsjahren als Koch und Kulinariker fragt, wie einem das bislang entgehen konnte. Was für eine treffliche Kombination und ein neues Leben für Blumenkohl! Gute Weine, tolle Cocktails, freundlichstes Personal, großartiger Laden, alles Gute!

nithanthai.de

Deart gestärkt geht es ins SO36 nach Kreuzberg, der legendären Konzerthalle, in der ich zwischen 1990-1994 wohnte, damals waren die Hochzeiten der Halle, mit Punk & Kunst, schon vorbei und wir feierten hart zu Grunge, Ska, Reggae und Hardcore. Zwanzig Jahre und ein paar Zerquetschte später, stehe ich wieder im SO36 und freue mich, das wir beide noch stehen, am Leben sind und immer noch gerne feiern, die Musik und das Leben. Heute Abend mit Che Sudaka, einer argentisch-colombianischen Punk-Latino-Ska-Reggae-Rock-Band aus Barcelona, die, Achtung Freunde: seit 15 Jahren Konzerte geben, und zwar insgesamt 1.400 Konzerte bisher, auf 5 Kontinenten, in 43 Ländern. Sie ahnen es: Live, das können die Jungs, die ich seit 2006 höre, acht Alben gibt es mittlerweile. Ich arbeitet damals oft in einem Fotostudio in der Nähe von Barcelona und kaufte meine erste Che Sudaka-LP wegen des hübschen Covers.

Fotografin Daniela Haug portraitierte die Band für unser gemeinsames Buch Open Air – das Festival und Campingkochbuch – wir erlebten damals einen Auftritt der Band in Budapest. Backstage im SO36 treffen wir einen Teil der Band nach dem Konzert und übergeben ein Exemplar des Buches, drücken uns mal herzlich. Ein besonderer Moment für mich, muss ich zugeben, „Stevan, whenever you need something from Che Sudaka, call us!“ sagt der Sänger am Ende des Abends. Schön war das!

chesudaka.com

Samstag zurück nach Hamburg, ein Wahnsinn eigentlich, aber irgendwie war das alles ja wie ein vorgezogenes Wochenend und Sonntag muss ich dann mal wirklich wieder richtig arbeiten, die letzten Stunden bummeln wir durch ein überraschend sonniges Berlin, an einem Samstagmorgen. Tags zuvor hatte ich die Berlin-Filiale der Hamburger Bäckerei Junge besucht, die eine ganze Blogger-Ecke ins neue Ladenkonzept eingebaut haben. Ein Foto davon zeigte ich auf meinem Instagram-Acount und es gab sofort einen Anschiss, von wegen, ob ich nicht wüsste, wie so Großbäcker arbeiten und überhaupt – mich nervt das manchmal. Andererseits verstehe ich das auch nur zu gut und stehe ja selbst auch beständig ein, für das Gute und Beste. Auf jeden Fall wäre aber ja sowieso erstmal konkret in Erfahrung zu bringen, was man dort unter Bäckerhandwerk genau versteht und das habe zumindest ich noch nicht getan. Mir gings aber auch um was ganz anderes, die kulinarische Welt ist größer als der Anspruch und die Wünsche von Prosumenten, Kulinarikern und Foodies und ich interessiere mich generell für Trends, Innovationen, Wechsel und Veränderung. Und die passiert manchmal auch an Orten, an denen man es vielleicht nicht direkt erwartet.

Bei Junge gibts also Bloggertische, wie sie in London schon vor Jahren in Restaurants zu finden waren, als wir in Deutschland noch diskutierten, ob man in Restaurants überhaupt fotografieren dürfe – wir sind wirklich immer hoffungslos hinterher. Bestes Licht und, wirklich genial, auswechselbare Tischplatten mit einer Sammmlung von Untergründen. Dazu per Bildschirm die Einladung zum Hochladen der gemachten Handyfotos mit Hashtag #jutefreunde – der funktioniert auf Instagram bislang so mittel, aber die Idee ist lustig! In einer gemütlichen Ecke mit Sofas gibts dazu noch eine ganz analoge Rezepttauschbörse, hier kann man inspirierende Lieblingsrezepte aufschreiben, mitnehmen, tauschen.

Samstagmorgen erstmal noch Kaufrausch im Smart Deli, einem Japan-Laden-Bistro, in dem es wirklich nur und ausschließlich rein japanische Produkte zu kaufen gibt, seit 15 Jahren. Nicht aus Polen, Nierdelande, China oder den USA (findet sich oft im Kleingerduckten vermeintlich japanischer Produkte) alles ist wirklich direkt aus Japan importiert und hier bekomme ich Sachen, die auch in Hamburg nur schwerlich zu kriegen sind.

smartdeli.org

Ebenfalls ausgewählt und erlesen, die Produkt-Palette im kleinen Laden „Von und zu Tisch“ mit freundlicher Beratung und tollen Produkten, viel regionales und Spezialitäten aus aller Welt, wie Aceto Giusti, Sardines Millésimées und Knalle Popcorn.

vonundzutisch.com

Berlin mal wieder. Schön wars. Danke!

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