Valencia (2): Dies ist kein Rezept – von der Kunst, eine echte Paella zu bereiten

Es tut mir wirklich leid und ich muss mich an dieser Stelle in aller Form entschuldigen. Zu meiner Entlastung sei gesagt, dass ich nie vorsätzlich handelte und erst gestern in Valencia erfuhr, dass all diese Safran-gelben Reispfannen mit Erbsen, Meeresfrüchten und wechselnden Fleischsorten, garniert mit schwarzen Oliven und Zitronenschnitzen, die ich jahrzehntelang für Zeitschriften und Magazine entwickelt hatte, die ich auch selbst in Restaurants gutgläubig bestellt und gelobt hatte – dass diese Reispfannen eben nicht einmal annähernd etwas mit der echten Paella Valenciana zu tun haben.

Valencia ist die Wiege der Paella-Kultur, die Hauptzutat, der Rundkornreis wächst seit 1238 vor den Toren der Stadt, auf den Reisfeldern im Albufera Feuchtgebiet. Und man nickt hier freundlich mit dem Kopf, wenn der Fremde von Paella-Variationen erzählt, die gibt es sogar hier, hier gibt es aber vor allem: die eine und einzige Mutter aller Paellas, die Paella Valenciana. Ihre Herstellung ist an ein striktes Regelwerk geknüpft ist, eine ritualisierte Zubereitung die vor allem nach Ruhe und Zeit verlangt – und den allerbesten Zutaten.

Die besorgen wir an diesem Morgen im Mercat Central, dem Bauch von Valencia und einem der schönsten Märkte, die ich je sah. Der Markt gehört nicht der Stadt, er gehört den Bauern, Fischern und Metzgern, die hier jeden Tag stolz ihr Bestes geben, erklärt uns Maria von der Escuela de Arroces y Paella Valenciana, die heute morgen den Job der Hüterin eines Sackes voller Flöhe übernommen hat – waren sie schon mal mit Food-Verrückten auf einem Markt? Maria ist darum auch sehr streng mit uns, in flottem Tempo geht es mit dem Hackenporsche durch die Halle, zu allen für uns relevanten Verkaufständen. Mach ma Platz da.

In eine Paella aus Valencia kommen wenige Zutaten und nur diese. Bohnen, z.B. grüne Bohnen, Feuerbohnen (Buenos Aires Roja), und frische weiße Bohnen, Valenciano garrofó (Limabohnen), Letztere für 14 Euro das Kilo Frischware, die getrockneten Kollegas gibt’s im Beutel für 2 Euro hinterhergeschmissen, wir brauchen und wollen aber die frischen Bohnenkerne! Wenn Winter und somit Saison ist, darf und soll man auch Artischocken erstehen, aber nur dann. „Wenn keine Artischocken-Saison ist, ersetzt ihr die Artischocken einfach durch nichts, einfach weglassen.“

Und dann lernen wir, dass Paella ein Reisgericht ist und man pro Person nur so ungefähr 150 g Fleisch mit Knochen rechnet, Huhn und Kaninchen gemischt, nichts anderes. Das ist im übrigen die einzige Mengenangabe, die für eine Paella von Nöten ist – eine Paella verlangt weder nach Maß noch nach Gewichtsangaben, die Paella-Pfanne gibt alles vor, der Rest ist Gefühl, dazu später mehr. Hähnchen und Kaninchen wurden für uns von der freundlichen Fleischfachverkäuferin portioniert, mit Knochen in kleine Portiönchen gebeilt.

Weite zum Paprikapulver (edelsüß), und etwas leicht rauchiges Paprikapulver, Pimenton de la Vera, Letzeres aber nur, wenn Sie das Gericht später auf Gas, statt auf dem traditionellen Feuer aus Orangenholz zubereiten (Elektroherde sind sinnloser Tand). Safran gibt es in zwei Qualitätsstufen, Stufe 2 ist sinnlos, weil mit Gelbanteil am Blütenstempel, der färbt und würzt weniger, Gewicht zahlen Sie trotzdem mit. Wir kaufen am Stand von Domingo Rodriguéz Lópes, dessen Familie seit drei Generationen im Safran-Geschäft ist. Sie haben Fragen zu Safran, fragen Sie! Wir kaufen auch kleine hübsche Schnecken im Häuschen.

Zurück in der Schule Escuela de Arroces y Paella Valenciana erwartet uns Paella-Meister José Manuel Benito, ein toller Typ mit trockenem Humor und der Entspanntheit, die man eben entwickelt, wenn man erstmal ca. 2,5 Millionen Paellas zubereitet hat. Er und Maria führen uns mit fröhlicher Strenge und viel Augenrollen durch die Entstehung einer echten Paella. Zwei Gas-Ringe sind unter jeder Paella-Pfanne regulierbar zu befeuern, den Mittleren heizen wir jetzt an, ordentlich Olivenöl, in die Mitte, IN DIE MITTE, dann dürfen darin zuerst die Hähnchenteile bräunen, derweil wir grüne und rote Bohnen putzen und mundgerecht zerreißen, nicht schneiden! Bohnenkerne werden ausgelöst, Artischocken geputzt und geviertelt. Jetzt das Huhn zum Rand schieben, mittig die Kaninchenteile rundherum anbraten. Derweil Tomaten reiben.

Sie merken: Paella ist ein Gericht für viele Hände, ein Familiengericht, dass nur Sonntags und gerne als Mittagessen serviert wird. Man trifft sich mit Freunden, mit der Familie, alle packen mit an, jeder hat seine Aufgabe, man unterhält sich, kommt zusammen. Die Paella ist wie eine gelungene Grillparty. Tomaten reiben also, auf einer groben Reibe zu Püree, nur die Schalen bleiben übrig. Jetzt auch das Kaninchen an den Rand schieben und mittig alle Gemüse anschwitzen und dünsten, etwas mehr Olivenöl noch, bis die roten Feuerbohnenstücke grün und die Bohnenkern-Häute aufgeplatzt sind.

Auch die Gemüse werden jetzt an den Rand geschoben, zum Fleisch, in die entstehend Mitte kommen die geriebenen Tomaten, das Püree, das dort in aller Ruhe und sehr langsam eindicken und einkochen darf, bis es nach purer Tomate duftet und schmeckt, das dauert gut und gerne 12-15 Minuten, beständiges Rühren und Schieben ist gefordert, Schwätzchen halten derweil.

Jetzt alles mit ca. 2 kleinen Teelöffeln Paprikapulver und etwas Räucherpaprika, sowie den Gemüsen vermengen, das Fleisch wieder in den Mittelpunkt des Geschehens rücken, mit Unmengen Wasser auffüllen, bis der Rand der Paella-Pfanne erreicht ist. Das ist sehr viel Wasser. Wasser aus Valencia, bestenfalls. Jetzt eine Handvoll Schnecken dazugeben, mit einfachstem Haushaltssalz zwischen den Fingerspitzen exakt 3,5 Rieselrunden über dem Gericht drehen. 3,5 Prisen Salz. Den Ansatz probieren. Da fehlt Salz! Der Meister ermahnt mich, Ruhe zu bewahren. Äußerer Ring jetzt auch an, alles volle Pulle, einen lange frischen Rosmarin-Zweig in den Ansatz schieben, noch eine Prise Safran zugeben – jetzt alles so ungefähr eine halbe Stunde köcheln lassen, relax Stevan! Ich relaxe überhaupt nicht! Es fehlt Salz und wir haben vor allem: den Reis vergessen! José Manuel Benito schiebt mich aus der Küche, trink mal einen Kaffee in Ruhe, Stevan.

Nach ungefähr 25 Minuten (oder: wenn ein Esslöffel nur noch zur Hälfte im Gericht steht, so berechnet der Valencianer die perfekte Kochzeit) ein Wunder: es hat sich eine wirklich aromatische Brühe gebildet, der es an nichts fehlt. Weder Salz noch Tand wie Wein, oder Knoblauch oder Chorizowurst, alles quatschig bis ruinös. Die Chorizowurst hat 2016 leider mal Jamie Oliver in eine sogenannte Paella getan, der Shitstorm war landesweit, die größte Tageszeitung El Pais berichtete.


Kollege Oliver legt ne Line

Wir geben (endlich!) den Reis zu, La Bomba, ca. 15 Kilometer von hier gewachsen. Wieviel? Eine hügelige Spur einmal mittig durch die Paella Pfanne streuen, das ist die ideal Menge für jede Größe jeder verwendeten Paella-Pfanne, es ist genial! Und jetzt haben wir wieder Zeit für die Familie, behalten die Pfanne im Auge und hören auch auf die Kochgeräusche, riechen, wie sich der Duft verändert, der sanfte Brodel-Ton wird höher und leiser, verebbt, die Paella knackt und knistert, es riecht rauchig. Es folg die Beschwörung der Paella, kein Witz: mit erhobenen Zeigefingern weisen wir die Paella dreimal im Chor an, bitte zu gelingen, zählen dann auf spanisch von Zehn runter auf Null – Gas aus! Applaus! Zehn Minuten warten.


So muss Paella sein: würzig, Knusperkrüstchen am Boden, saftig on Top!

Inzwischen den Tisch decken, Salat, Oliven, eigelegte Zwiebeln und rohe Tomaten kommen auf den Tisch, es gibt traditionell Rotwein zur Paella, Salud! Gegessen wird mit Löffeln aus der Pfanne, der Teller ist lediglich für die Knochen. Ziehen Sie zuvor imaginäre Linien durch die Pfanne, bleiben sie mit dem Löffel in ihrem Drittel oder Viertel, Paella ist gesellig, hier hat der Spaß aber seine Grenzen in Valencia! Und sollte ihr Nachbar mehr saftige Fleischstücke oder köstliche Artischocken abbekommen haben, fügen Sie sich klaglos ihrem Schicksal, nächstes Mal sind Sie der Glückliche, bzw. es schmeckt alles, alles einfach köstlich – und der dunkle würzige Reis ist der Star!

Wenn Sie in Valencia sind, buchen Sie vorab einen Kurs in der Schule, ich war wirklich begeistert, für 55 Euro gibt es den Markteinkauf, die fröhlichen und erhellenden Kochstunden, die beste Paella die Sie je gegessen haben (und Sie habe die dann selbst gekocht!), ein schönes Essen mit reichlich Wein, Wasser, Schnaps und Kaffee – ein wirklich herrlicher Tag der zum Nachmittag mit der Überreichung eines Diploms endet. Sie sind jetzt: „Non professional Paella Spezialist“ ! Und wann wechselt man ins Profilager, frage ich José Manuel Benito. Der antwortet: „Oh, ganz einfach! Nur noch ungefähr eine weitere Million Paellas zubereiten, schon ist es soweit!“

Homepage: Escuela de Arroces y Paella Valenciana
Mediterranean cuisine from a local approach.
Calle Obispo Don Jerónimo 8 bajo – 46003
Tel.: +34 961 043 540

PS: auch auf Radio Bremen hab ich vom Reis erzählt, 04.48 Minuten zum Hören:
www.radiobremen.de/bremenzwei/rubriken/kolumnen/ueber-den-tellerrand/kochkolumne204-popup.html

Weiterlesen:

Valencia Culinary Meeting (1): ein Menü beim Puristen Bernd Knöller, Restaurant Riff

Valencia (2): Dies ist kein Rezept – von der Kunst, eine echte Paella zu bereiten

Valencia (3): das junge Valencia – ein Abend im 2estationes

Valencia (4): Die Austern, der Aal, die Reisfelder und das Meer (und eine Band Names Limbotheque)

Valencia (5): Avantgarde, Baby! Ein Menü mit Albert Adrià, Luís Valls Rozalén – und ein paar echt guten Zaubertricks.

Offenlegung: ich danke dem Tourismboard Visit Valencia (VLC) für die Einladung und Organisation der Reise, die herzliche Gastfreundschaft vor Ort.

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