Ein Wochenende in Nürnberg (1): Restaurant Sosein revisited

sosein1 Felix Schneider im Wald mit wohlriechendem Leistling!

Der saftig grüne Wald ist von Sonnenlichtstreifen durchschnitten, schön ruhig ist das hier, nur die Kiesel knirschen unter den Schuhen beim Gehen. Wir verlassen den befestigten Weg und folgen Felix Schneider und Thomas Prosiegel weiter hinein in den Wald, der Bewuchs deutet auf eine feuchte Senke, hier sollten wir Pilze finden. Felix Schneider ist Küchenchef und Gastronom im Restaurant Sosein in Heroldsberg bei Nürnberg, jenem Restaurant, dass ich ein knappes Jahr zuvor kennen lernen durfte, damals war gerade eben eröffnet, das Menü aber eindringlich und zukunftsweisend, extakter und konsequenter umgesetzt hatte ich die regionale Naturküche noch nicht erlebt, der Abend damals war ein kulinarisches Wunderwerk.

Heute haben, auf Einladung von Tourismus Nürnberg, eine handvoll Foodblogger-KollegInnen und ich das große Vergnügen, auch hinter die Kulissen dieses außergewöhnlichen Restaurants zu Blicken, Felix Schneider und sein Kollege Thomas Prosiegel nehmen uns mit zum Pilze sammeln für den Abend. Das gehört ganz normal dazu, zur Arbeit in diesem Restaurant, hier beginnt es, und auch im eigenen Gemüsegarten, in den Weinbergen der Umgebung, in Zusammenarbeit mit der unfassbaren Zahl von ungefähr 200 Zulieferern, die teilweise eigens für die engagierten Köche produzieren: kleinere Rübchen, beispielsweise, größere Karpfen, bei denen die Gräten sicht- und entfernbar sind, das Fleisch besser schmeckt. Das ändert alles auf den Tellern, und das Sosein-Team ändert gerne die Dinge. Arbeitszeiten beispielsweise. Abends gibt es ein Menü, erkocht wird das jeden Tag gemeinsam ab 14:00 Uhr, so bleibt Zeit, für Exkursionen, fürs Säen, Sammeln, Pflücken, Ernten.

Regionalität ist das eine, Frische das andere, lernen wir. So ein Pilz, beispielsweise. Ist eine anfällige Angelegenheit und Pilze, die tagelangen in Körbchen verpackt durch die Weltgeschichte reisen, werden schnell zu leblosen Untoten. Gemüse und Obst haben, frisch geerntet, wesentlich mehr Energie und das ist kein Hippiequatsch sondern Biologie: der Verfall beginnt mit dem Erntezeitpunkt. In den USA gibt es sie schon, die ersten Supermärkte, die auf ihren Dächern Salate anbauen, die erst auf Bestellung geerntet und mit dem Aufzug knackfrisch zum Kunden im Markt befördert werden.

Jetzt also Pilze, es ist sehr trocken und wir lernen, dass Pilzesammeln mit dem Wissen um das Wetter beginnt, mit dem Wissen um die Natur, um Zusammenhänge und Bezüge, Bewuchs erkenne, der zu den guten Stellen führt, den Weg weist. Wir ernten Leistlinge, nur soviel, wie Abends gebraucht werden, im Restaurant.

sosein2 Drei Grazien am Brunnen vor dem Tore! (v.l.n.r.: Conny (seelenschmeichelei.de), Kerstin (mycookingloveaffair.de) und Tanja (foodistas.de), Kollege Orhan (kochdichtürkisch.de) schon bei der Arbeit, derweil Felix Schneider (oben) und Thomas Prosiegel (unten) erhellend durchs Menü führen!

Der Abend im Sosein beginnt für alle Gäste zwischen 19:30 Uhr und 20:00 Uhr, mit einem Auftakt von 5 „Kleinigkeiten“, ein „Prolog“, der in manchen Restaurants schon das ganz große Kino wäre, und hier die Richtung weist. Dann wird das Menüs serviert, im ruhigen Gleichschlag, ohne Hektik. Gang für Gang kochen die Köche gemeinsam, das verhindert Fehler und garantiert Konzentration: es ist ein großer Unterschied, ob man beispielsweise eine Sauce im Stress eines Abendservices 35 mal aufschlägt, oder eben einmal für alle, konzentriert und auf den Punkt. Das Menü als Inszenierung, die alle Gäste gemeinsam erleben. Das hat auch einen weiteren Vorteil und den kann man riechen: beim Servieren jedes Ganges ist der Raum erfüllt vom appetitlichen Duft dieser einen Speise, Vorfreude!

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Zwei beispielhafte Prolog-Gänge, die nur dem puren Geschmack verpflichtet sind: zart konfierter Bachsaibling mit frischem Meerrettich und eine würzige Creme aus fermentiertem Knoblauch mit einer krachend knusprigen, luftigen Hefeteigstange, Umami pur. Ein Laib Sauerteigbrot wird aufgeschnitten, dazu gibt es gereifte Butter, wir werden ermahnt uns nicht satt zu essen, das fällt schwer. Der erste Gang des Abends ist gleich einer meiner beiden Lieblingsgänge an diesem Abend. Grüne Tomate mit einer Creme von Garnelenkopf – komplex und würzig-mediterran die Creme, die Gartentomate mit jedem Bissen ein neues Geschmackserlebnis, maximal gereift, dadurch zart, belegt mit Kräutern, Blüten, Knospen, einen ganze Welt.

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Derweil zaubert Restaurantleiter und Sommelier Dominik Altenkamp, die begleitenden Weine sind Wucht und Freude, geradezu spektakulär ist die alkoholfreie Begleitung!

sosein4 An Huhn und Flasche: Restaurantleiter und Sommelier Dominik Altenkamp

Und da kommt er, unser Gang und es ist mir nicht peinlich, das mich eine stolze Freude erfüllt, beim ganz bewussten Genießen „unseres“ Leistlings-Pilz, der mit drei weiteren heimischen Pilzsorten in einer unglaublich dichten, duftenden Pilzjus serviert wird. Jeder Pilz schmeckt für sich, zusammengehalten vom dunklen, beinahe fleischigen Sud – so möchte ich essen, das ist für mich Kochen heute: Reduktion, Fokus auf Geschmack und Qualität, die beste kulinarische Idee und Präsentation für das beste Produkt. Dominik Altenkamp zeigt den Mais-gefütterten Hahn im Ganzen, später tranchiert: ein butterzartes Bruststück auf dem Teller, mit einer aromatischen roten Paprika-Sauce und einem Öl vom Saiblingskopf, dazu rohe und geflämmte grüne Pfefferschote.

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Und dann: ein Pasta-Gang! Mit einer grobstückigen „Tomatensauce“, aus frischen Tomaten, Bottarga-Flocken und fermentiertem Rogen, echtes Seelenessen. Das Wollschwein perfekt gegart, begleitet von Bitterendivie und einem „Sauergemüse“, die einzelnen Bestandteile auf dem Tellers spielen miteinander, ergänzen sich, schaffen Spannung, groß.

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Als Handreiche zum Dessert ist der nächste Gang zu verstehen: knackiger, leicht geflämmter Jungmais mit einer cremigen Sauce aus Salzkaramel, brauner Butter und Rauchöl, deutlich süß, deutlich rauchig und fettcremig, klasse. Das Dessert: Getränkter Baba-Napfkuchen, klassisch perfekt, auf Shisocreme und mit Mirabellen.

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Wir bekommen anschließend eine Küchenführung und da wird nochmals so richtig klar, wie Felix Schneider und seine Mannschaft denken und was sie alles selbst machen: wir staunen über duftende Schinken aus eigener Herstellung, aromatisch-würziges Miso aus Kapuzinerkresse-Erbsen, selbst angesetzten Fruchtessig, der elegant und reich duftet. Überall Dinge die im Werden sind, reifen, fermentieren – teils Experiment, oft (an-)gelernte Techniken. Im Fleischkühlhaus hängten nicht nur Edelstücke, sondern auch hausgemachte Salami und Innnereien, gegrillt, geräuchert und getrocknet – ein Versuch, mal sehen was draus wird. Eher leer dagegen, das Trockenlager. Im Großhandel kaufen sie eigentlich nur Putzmittel und Personal-Getränke, erklärt Felix Schneider. Sie sind nahe dran an der Natur, das Team des Sosein, sie leben das Kochen, den Genuß, die Kreation, lernen täglich und täglich dazu – sehr zum Wohle des Gastes. Der Blick hinter die Kulissen und in die Gedankenwelt der Köche dort, hat mir nochmals verdeutlicht: das Sosein gehört zu den spannendsten Restaurants der Republik.

Sosein
Hauptstraße 19
90562 Heroldsberg

Website: sosein-restaurant.de
Facebook:www.facebook.com/sosein.restaurant

Die ganze Serie:

Ein Wochenende in Nürnberg (1): Restaurant Sosein revisited

Ein Wochenende in Nürnberg (2): kulinarische Foodhopping-Tour durch Nürnberg

Ein Wochenende in Nürnberg (3): Supper Club Supperclub mit Highfoodality

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